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Platz satt: Kulturlandschaft in die Natur integriert
Foto: Benny Trapp

„Landwirtschaft braucht eine intakte Umwelt“

24. September 2015

Tanja Dräger de Teran, Referentin beim WWF, über Artenvielfalt in der Landwirtschaft – Thema 10/15 Vogelfrei

choices: Sie koordinieren aktuell ein Projekt, in dessen Rahmen ein neuer Naturschutz-Standard als Zusatzqualifikation für den ökologischen Landbau entwickelt wird. Was hat Artenvielfalt mit Landwirtschaft zu tun?
Tanja Dräger de Teran: In Deutschland werden etwa 50 Prozent der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt. Die Art und Weise, wie unsere Landwirtschaft betrieben wird, hat daher einen großen Einfluss darauf, ob wildlebende Tiere, Pflanzen und Kleinstlebewesen auch Platz haben oder nicht. Zum Vergleich: Die Flächen, die in Deutschland unter Naturschutz stehen, machen nur etwa vier Prozent aus.

Aber die Aufgabe der Landwirtschaft ist es doch, Nahrungsmittel anzubauen. Und nicht, einen guten Lebensraum für Wildtiere zu schaffen.

Tanja Dräger de Teran
Foto: Andreas Eistert, WWF

ZUR PERSON

Tanja Dräger de Teran (43) ist gelernte Diplom-Geographin. Sie arbeitet als Referentin für Nachhaltige Landnutzung beim WWF und leitet das Projekt "Landwirtschaft für Artenvielfalt".


Es stimmt, dass der Anbau von Nahrungsmitteln die Hauptaufgabe der Landwirte ist. Das haben sie gelernt und dafür werden sie bezahlt. Und ökonomisch gesehen mag es auch kurzfristig sinnvoll sein, große Felder mit möglichst nur einer Pflanzenart zu bewirtschaften.

Doch diese Art der konventionellen Landwirtschaft ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten zum größten Vernichter der Artenvielfalt geworden. Ein Überleben in großflächigen, intensiv genutzten Monokulturen ist für die meisten Wildtiere und -pflanzen unmöglich. Das hat langfristig auch Nachteile für die Landwirtschaft. Denn sie braucht eine intakte Umwelt. Ein guter lebendiger Boden bringt eine bessere Ernte hervor und schützt die Umwelt, da er wie ein Filter wirkt. Und Bestäuber, wie Bienen und Hummeln, sind notwendig, damit die Pflanzen überhaupt Frucht hervorbringen. Die Bestäuber wiederum brauchen ein gewisses Nahrungsangebot, um zu überleben. Insofern ist es in unserem eigenen Interesse, ein intaktes Ökosystem zu erhalten.

Können wir das Artensterben denn aufhalten? Und ist das wirklich sinnvoll?
Ja. Wir haben bei manchen Arten in den letzten Jahren einen Rückgang von 70, 80 oder sogar mehr als 90 Prozent zu verzeichnen. Das ist nicht nur gesetzeswidrig, weil die ethische Verantwortung zum Artenschutz im Grundgesetz festgeschrieben ist. Sondern es ist auch für unsere eigene Entwicklung höchstbedenklich. Viele Tiere und Pflanzen sind Vorbilder für unsere technische und medizinische Entwicklung. Wir haben so viele Mechanismen noch nicht verstanden, dass nicht abzuschätzen ist, was verloren geht, wenn bestimmte heimische Arten aussterben. Außerdem kann ein stabiles Ökosystem wesentlich flexibler auf Veränderungen wie den Klimawandel reagieren. Wenn aber das System instabil ist und dann noch Schädlinge oder starke Temperatur- oder Niederschlagsschwankungen hinzukommen, kann das ganze System zusammenbrechen. In China ist es schon soweit, dass Millionen von Pflanzen per Hand bestäubt werden müssen, weil es nicht mehr genug Bienen gibt. Das ist auch ökonomisch eine Katastrophe.

Was müsste sich ändern, um das Ökosystem stabil zu halten?
Die Landwirtschaft müsste deutlich vielfältiger werden. Große Chancen bestehen dafür im ökologischen Landbau. Das hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt. Vor drei Jahren hat der ökologische Anbauverband Biopark beim WWF angefragt, ob wir gemeinsam einen neuen Naturschutz-Standard entwickeln könnten, der den Erhalt der Artenvielfalt miteinbezieht. Mit finanzieller Unterstützung des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern haben wir dann das Projekt „Landwirtschaft für Artenvielfalt“ ins Leben gerufen.

Der Naturschutz-Standard wurde anschließend vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung zusammen mit den beteiligten Landwirten und weiteren Experten erarbeitet. Da jeder Betrieb und jede Gegend unterschiedlich ist, wird die Entscheidung, welche Arten auf welche Weise gefördert werden, jedes Mal individuell getroffen. Es können beispielsweise Blühstreifen, Hecken oder Lücken im Getreide gelassen werden, wo sich dann bestimmte Tier- und Pflanzenarten ansiedeln können. Mehrere naturschutzfachliche Berater begleiten das Projekt und stehen in engem Austausch mit den Landwirten, um mit ihnen gemeinsam das beste Maßnahmenpaket für den Betrieb und für den Naturschutz zusammenzustellen. Ist der Naturschutz-Standard erreicht, sichert Edeka als strategischer Partner den Landwirten während der Projektlaufzeit höhere Erträge zu. Langfristig können die Produkte durch den höheren Standard besser vermarktet werden.

Funktioniert das nur bei ökologischer Landwirtschaft?
Das Potenzial ist hier höher als bei konventioneller Landwirtschaft. Denn der ökologische Landbau verzichtet sowieso auf Pestizide und synthetische Düngemittel und häufig sind seltene Arten zumindest in geringer Dichte vertreten. Neu geschaffene Biotope können gut besiedelt werden und schon kleine Änderungen in den Bewirtschaftungsmethoden können eine große Wirkung entfalten. Daher haben wir uns in den letzten drei Jahren auf ökologische Betriebe konzentriert. Mittlerweile haben wir knapp 50 Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Brandenburg mit insgesamt 25.000 Hektar Land für unser Projekt gewinnen können. Erste Ergebnisse des Monitorings sind sehr ermutigend: Wir konnten viele gefährdete Arten nachweisen und die positive Wirkung der Maßnahmen dokumentieren. Nun wollen wir noch ermitteln, inwieweit sich die Anzahl der Nützlinge durch die Umsetzung der Maßnahmen erhöht.

Wie soll es jetzt weitergehen?
Das Konzept „Landwirtschaft für Artenvielfalt“ soll auf andere Regionen ausgeweitet werden. Es kann allerdings nicht eins zu eins übertragen werden, da in Norddeutschland andere Arten vorkommen und gefördert werden können als in Mittel- oder Süddeutschland. Daher muss der Standard nun entsprechend angepasst werden.

Arbeiten Sie weiterhin ausschließlich mit ökologischen Betrieben zusammen?
Vorerst ja. Hier sind die Rahmenbedingungen einfach besser und das Erfolgspotenzial höher. Außerdem haben viele Öko-Landwirte ein Interesse daran, sich für die Artenvielfalt einzusetzen. Bisher wurde das nur zu wenig honoriert. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen Landwirten und Naturschützern auch deshalb sehr gut funktioniert, weil mit der naturschutzfachlichen Beratung eine Brücke geschaffen wurde, die auf beiden Seiten zu einem wachsenden Verständnis führt. Nun wird das Engagement der Öko-Landwirte für die Artenvielfalt endlich wertgeschätzt.

Aber müsste man nicht auch bei der konventionellen Landwirtschaft ansetzen?
Theoretisch wäre es klug, auch die konventionelle Landwirtschaft artenfreundlicher zu gestalten, da sie den größeren Anteil ausmacht und mitverantwortlich für das Artensterben der letzten Jahre ist. Allerdings ist das viel schwieriger, weil diese sich zunehmend auf große und sehr intensiv genutzte Monokulturen spezialisiert haben. Wenn man sich allerdings Angebot und Nachfrage in Deutschland ansieht, müsste sowieso ein Teil der konventionellen zur ökologischen Landwirtschaft umstrukturiert werden. Denn momentan wird einiges an Bio-Nahrungsmitteln importiert, weil der Bedarf mit deutschen Produkten nicht mehr gedeckt werden kann. Auch das offizielle Ziel der Bundesregierung sieht vor, dass 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche vom Ökolandbau betrieben werden. Wir haben aber aktuell nur einen Anteil von etwa 6 bis 7 Prozent. Insofern ist hier noch viel Platz nach oben. Und wenn in den nächsten Jahren einige Betriebe auf Ökolandbau umstrukturieren, könnten diese auch direkt den Arterhalt mitbedenken.

Was müsste sich politisch ändern?
Der Erhalt der Artenvielfalt müsste als Teil der ökologischen Landwirtschaft definiert und auch honoriert werden. Außerdem sollte das 20-Prozent-Ziel möglichst schnell erreicht werden. Denn die Nachfrage ist da. Außerdem wäre es wichtig, dass die landwirtschaftliche Ausbildung so angepasst wird, dass es eine Schnittschnelle zum Artenschutz gibt. Denn zurzeit gibt es, überspitzt ausgedrückt, auf der einen Seite Biologen, die wahnsinnig viel über den Sand-Mohn oder die Feldlerche wissen, aber keine Ahnung von Landwirtschaft haben. Und auf der anderen Seite gibt es Landwirte, die wissen, wie man einen Betrieb führt, aber keine Ahnung von Artenschutz haben. Und schließlich müsste der Erhalt der Artenvielfalt in die Gemeinsame Agrarpolitik der EU aufgenommen und gefördert werden. Eine entsprechende verbindliche Umgestaltungwäre entscheidend, damit sich eine nachhaltige Landwirtschaft in Europa entwickeln kann.


Aktiv im Thema
www.landwirtschaft-artenvielfalt.de
www.weltagrarbericht.de
www.arc2020.eu | Zivilgesellschaftliche Gruppe die neue Konzepte für EU-Agrarpolitik entwickelt

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Interview: Marina Engler

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