Die Welt sei nicht mehr dieselbe, fasste Kanzler Olaf Scholz Ende Februar im Bundestag die neue Sicherheitslage zusammen. Er kündigte an, ein Sondervermögen über 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr auf den Weg zu bringen und im Grundgesetz verankern zu wollen, dass mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung gingen. Mit teils stehendem Applaus bedachte dies ein Großteil der Abgeordneten. Die Begeisterung befremdete. Ja, es ist eine Aufgabe des Bundestags, Deutschlands Sicherheitsinteressen zu debattieren – und Hilfe für die Ukraine, die völkerrechtswidrig von Russland angegriffen worden ist. Erhöhte Militärausgaben geraten aber in Konflikt mit Etats, die nicht weniger bedeutend sind, namentlich für Soziales, Bildung, Gesundheit, Umweltschutz, Landwirtschaft, Verkehr, Bauwesen oder Entwicklungszusammenarbeit. Die Versäumnisse in diesen zivilen Bereichen sind beschämend! Ist jemals auch nur erwogen worden, diese Etats so drastisch zu erhöhen wie nun den für Rüstung?
In unserem Monatsthema ZEITENWENDE fragen wir, wie der Krieg in der Ukraine die Gesellschaften verändert. Unsere Leitartikel betonen, dass der Krieg Kosten nach sich zieht, die vor allem von der ärmeren Bevölkerung in aller Welt getragen werden, plädieren dafür, dass die Zivilgesellschaft sich dagegen wendet, dass Umweltpolitik zugunsten von Sicherheitspolitik vernachlässigt wird und wägen ab, ob Frieden der politische Normalfall sein kann.
In unseren Interviews kritisiert der Armutsforscher Christoph Butterwegge, dass die politischen Reaktionen auf den Krieg soziale Ungerechtigkeiten verschärfen, Germanwatch-Sprecher Stefan Küper wägt ab, wie sicherheits- und umweltpolitische Interessen miteinander zusammenhängen und der Friedensforscher Alexander Graef erklärt, warum die Bundeswehr trotz hohem Milliardenetat schlecht ausgestattet ist. In Köln besuchen wir den Verein Blau-Gelbes Kreuz, der Hilfe für die Ukraine organisiert, in Bochum das Klimaschutzbündnis, das für eine konsequente Klimapolitik vor Ort streitet und in Wuppertal den Elberfelder Friedensgarten, der interkulturellen Austausch voranbringt.
Die Rüstungspläne legen unverhohlen offen, dass die Regierung gewaltige zusätzliche Summen aufbringen kann, wenn sie davon überzeugt ist – dass das Beharren auf einer Schuldenbremse für den Staatshaushalt vor allem politisch motiviert ist, kaum fiskalisch. Statt leichthin einer Militarisierung zu applaudieren, wären Politiker darum gut beraten, entsprechend großzügig Mittel einzusetzen, um die existenziellen Notlagen in den zivilen Politikbereichen möglichst zu beenden. Diese Notlagen gefährden die Demokratie nicht weniger als der Krieg! Das gilt umso mehr, wenn der gut begründete Verdacht entsteht, dass ihre Beendigung bloß am Willen der Regierenden scheitert – statt an sogenannten Sachzwängen.
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