Finden Sie heutzutage auch alles spannend? Also abgesehen von wirklich spannenden Dingen wie etwa Filme, Bücher oder sportliche Wettkämpfe? Ach ja, der Bundestagswahlkampf gehörte auch mal dazu. Beziehungsweise gehört er es heute wieder. Denn in unseren Zeiten kann alles spannend sein. Wenn ein Bundestagswahlkampf nicht spannend ist, dann ist eben die Tatsache spannend, dass der Bundestagswahlkampf nicht spannend ist. Spannend, oder? Nein! War früher die Diskussion über ein Thema spannend, ist es heute bereits das Thema an sich. Doch ist das Wort „spannend“ nicht ursprünglich in ein Erleben verankert, manifestierte es sich nicht in einer zeitlichen Dimension, in welcher Dinge Raum haben, sich zu entwickelten, in dem sie erst spannend werden? Ein 90-Minuten-Film, ein 900-Seiten-Thriller, ein 90-Sekunden-Clip. Die Filme von Alfred Hitchcock sind spannend. Der Sachverhalt, dass Hitchcock über fünfzig Filme gemacht hat, ist es nicht. Außer heute. Dabei hatte Spannung einmal etwas mit Nervenkitzel zu tun. Mit Luftanhalten. Mit Gänsehaut. Schon von einem spannenden Moment zu sprechen, ist absurd, kann sich wahre Spannung doch erst über den Moment hinaus entfalten.
In der dramaturgischen Gestaltung, sei es im Film oder in der Literatur, konstruieren die Autoren Spannungsbögen, in denen Spannung gedeihen kann. Nicht bei jedem Film geht das auf, nicht jeder Film ist spannend. Oder besser: Er war es nicht. Heutzutage darf ein Film sogar gerade dann als spannend diskutiert werden, wenn sein Konzept vielleicht genau darauf beruht, nicht spannend sein zu wollen. Der Film, das bewegte Bild, funktioniert von Natur aus über eine zeitliche Dimension. Ein Film kann Spannung erzeugen durch Tempo, er kann Spannung erzeugen durch Suspense, durch Rhythmus, Montage, durch das Spiel der Darsteller, durch Sound. Und er kann Spannung erzeugen, indem er das Tempo ausbremst. Doch dazu benötigt der Film vor allem eines: Zeit.
Alles ist spannend, wenn es nur interessant ist
Draußen vor dem Kino aber darf bereits ein purer Sachverhalt als spannend bezeichnet werden. Spannungsbögen und der Faktor Zeit spielen im Hinblick auf Spannung keine Rolle mehr. Alles darf auch spannend sein, wenn es nur interessant ist. Der Duden reagiert prompt darauf und stellt dem Begriff „spannend“ die alternative Bedeutung „interessant“ anheim. Damit entschwinden unserem alltäglichen Sprachgebrauch zusehends wertvolle Adjektive. „Spannend“ tilgt nicht nur den Begriff „interessant“ aus, sondern ersetzt in der Umgangssprache unzählige weitere Worte wie aufregend, berührend, aufreibend, bemerkenswert, erstaunlich. Nein, wir möchten es uns nicht vorstellen: Spock zieht auf der Enterprise die Augenbraue hoch und sagt fasziniert: „Spannend“. Vieles kann nicht spannend sein. Und braucht es auch nicht. Doch jeder Film hat das Potenzial dazu. Viel Spaß also bei Ihrer nächsten wirklich spannenden Reise im Kino.
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