Jörg Ritzenhoff findet Fado langweilig. Deshalb hat der Komponist für sein Projekt „fadofade“ 16 europäische Musiker aufgefordert, ein Lied im traurigen Musikstil der Portugiesen zu singen. Die Songs seiner Musikerkollegen aus Polen, Russland, Italien, Frankreich und anderen europäischen Ländern hat er einem jeweils anderen dieser Musiker vorgespielt, der die Sprache des ausgesuchten Songs nicht beherrschte, sie aber nachsingen sollte. Den Zusammenschnitt, der in diesem Jahr in Marseille, der Kulturhauptstadt Europas 2013, auf einem Altstadtplatz präsentiert wird, veröffentlichte er jetzt als Premiere im Tanzzentrum von Barnes Crossing. Das Ergebnis ist eindrucksvoll, weil jeder den Ton der Trauer in der fremden Sprache, die ihm vorgespielt wurde, nachzuahmen versucht. Trauriges klingt im Deutschen anders als im Polnischen oder Italienischen, aber berührend ist jede der melancholischen Gesangsproben.
Berühren will Barbara Fuchs mit ihrer neuen Tanzproduktion „Moodswing“, die den zweiten Teil des Abends füllte, offenbar nicht. Ihr Projekt stellt die erste Folge des auf drei Stationen angelegten Zyklus „Ge-Fühl-Los“ dar. Die Choreographie, die sich über weite Strecken als eine Performance für Stimmen ausnimmt, zergliedert Emotionen wie Bioteilchen. Freude, Trauer, Wut und Angst werden vorne an der Rampe durch Schreien, Grunzen oder Schnaufen mit verzerrter Akustik dargestellt. Das sieht aus wie ein Buchstabieren menschlicher Empfindungen, ein bisschen schaurig, ein bisschen lustig, dramatisch kann es nicht werden, weil im Labor keine Geschichten entstehen.
Dieses sachliche Experiment, das eigentlich unkontrollierte Reaktionen über Tanz und Stimme ausstellen will, bereitet den vier Akteuren (Odile Foehl, Barbara Fuchs, Marcus Bomski und Regina Rossi) sichtlich Spaß. Ein wenig Augenzwinkern ist in dieser stilistischen Fingerübung erlaubt. Man darf gespannt sein, wie Barbara Fuchs ihr Alphabet der Emotionen im zweiten Teil des Zyklus ausbauen und intensivieren wird.
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