Strandet ein Jude in der Wüste. Trifft dort auf einen Araber, der sein Kamel sucht… Was nach einem gefürchteten Religionswitz klingt, könnte auch als Plotzusammenfassung von „Nicht ganz koscher“ (Cineplex, ab 18.8. als OmU in der Bonner Kinemathek) durchgehen. Wäre der Film nicht viel tiefgründiger, hintersinniger und schlauer, als sein Untertitel „Eine göttliche Komödie“ vermuten ließe. Eine Komödie ist es durchaus, was das Regie- und Drehbuch-Duo Stefan Sarazin und Peter Keller aus der ägyptischen Wüste mitgebracht haben. „Nicht ganz koscher“ ist eine Cultural-Clash-Komödie, bei der es jedoch am Ende gar keinen Clash gibt, in der vielmehr von den Brauchtümern und Ritualen der anderen gelernt wird. Der Newcomer-Film ist die kongeniale und höchst vergnügliche Umsetzung einer recht einfachen Grundidee. Ben, ein orthodoxer Jude aus Brooklyn, soll nach Alexandria reisen, um dort als zehnter Mann das Pessach-Fest der einst größten jüdischen Community zu retten. Weil er sein Flugzeug in Jerusalem verpasst, muss er mit dem Überlandbus durch Ägypten fahren und wird bald auf der Basis einer grausam demokratischen Abstimmung in der Wüste ausgesetzt – eine pikante Umkehrung der religiösen Bedeutung des anstehenden Pessach-Fests, das an den Exodus des jüdischen Volkes aus Ägypten erinnern soll. Der unfreiwillig in die Wüste zurückgekehrte Jude trifft auf den Nomaden Adel, der tatsächlich sein entlaufenes Kamel sucht – so viel Witz muss sein. Im Weiteren geht es um den Sinn religiöser Rituale mitten in der Wüste, um Gepäck, das man nicht abwerfen will, aber auch um die Zubereitung von Speisen quasi aus dem Nichts heraus. Sarazin und Keller garnieren den Wüstentrip als respektvolle Buddy-Komödie, die mutig die Skurrilitäten von religiösen Ritualen aufspießt. Dazwischen nimmt sich der Film immer wieder Zeit für die atemberaubend fotografierte Wüstenlandschaft, und verleiht der komödiantischen Handlung sogar zaghaft philosophische Dimensionen. Der Film wurde mit dem Bayerischen Filmpreis 2021 ausgezeichnet und kann sich leuchtender Fixstern am ansonsten oft dunklen deutschen Komödienhimmel nennen. Woran jüngst die Documenta gescheitert ist, gelingt Sarazin und Keller mit Bravour: Sie jonglieren mit den Klischees über Juden und Palästinenser, bringen sie miteinander in Dialog und gar zur Versöhnung, und schaffen am Ende sogar noch, das Christentum einzubeziehen.
Außerdem neu in den Kinos: Regis Roinsards Beziehungsdrama „Warten auf Bojangles“ (Cinenova, OmU im OFF Broadway), Ed Herzogs komödiantischer Bayern-Krimi „Guglhupfgeschwader“ (Cinedom, Cineplex, Rex am Ring, UCI), Martin Miehe-Renards Kinderbuchadaption „Busters Welt“ und David Leitchs Express-Actioner „Bullet Train“ (Autokino Porz, Cinedom, Cineplex, Residenz, Rex am Ring, UCI, OmU im Cinenova und Metropolis, OV im Cinedom, Cineplex, Rex am Ring und UCI).
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Bis die Wände wackeln
Die Filmstarts der Woche
Der Ernst der Sprache
Claire-Louise Bennetts Roman „Kasse 19“ – Textwelten 06/23
Digitale Bedürfnisse
Das Konzept Smart City – Europa-Vorbild: Finnland
Rotes Blut, roter Staub
Graphic Novels mit cineastischen Bezügen – ComicKultur 06/23
„Grenzen überschreiten und andere Communities ins Theater holen“
Sarah Lorenz und Hanna Koller über das Festival Britney X am Schauspiel Köln – Premiere 06/23
Wohliges Gruseln im Bergischen
„Addams Family“ im Wuppertaler TiC-Theater – Musical in NRW 06/23
Frauen und Krieg
„Die Troerinnen“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 06/23
Filmpreis mit Geschmäckle
Deutscher Filmpreis vor der überfälligen Reformierung – Vorspann 06/23
Perforierte Sprachgrenze
Die Studiobühne zeigt „Total“ – Theater am Rhein 05/23
„Das Theater muss sich komplexen Themen stellen“
Haiko Pfost über das Impulse Theaterfestival 2023 – Interview 06/23
An der Grenze von Ernst und Komik
boy:band und Studiobühne Köln: „Clowns“ – Prolog 06/23
Say it loud and proud!
Urban Music aus Afrika, Amerika und der Karibik – Unterhaltungsmusik 06/23
Gentrifizierung auf Griechisch
Investoreninteressen und staatliche Repression im Athener Stadtteil Exarchia – Teil 1: Leitartikel
Farben des Lichts
Etel Adnan im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/23
„Aufhören, Wunden zu schlagen“
Direktoren des africologneFestivals im Interview – Interview 05/23
„Wir können in Köln viel bewegen“
African Futures-Projektleiterin Glenda Obermuller – Interview 05/23
Neues Bild von Afrika
African Futures Cologne 2023 bietet ein reichhaltiges Programm – Prolog 05/23
Das Scheitern einer Femme fatale
„Hérodiade“ an der Rheinoper Düsseldorf – Oper in NRW 05/23
Grünes Licht für Fußverkehr
Diskussion im Haus der Architektur – Spezial 05/23
Äußerst kostbare Zeiten
Bea Meyer im kjubh Kunstverein – Kunst 05/23
Worte und Wissen gegen Gewalt
Lesung im NS-Dokumentationszentrum – Spezial 05/23
John Scofield allein zu Haus
Der große Gitarrist in Oberhausen – Improvisierte Musik in NRW 05/23
Dem Klang hingeben
Maggie Rogers in Köln – Musik 05/23
Der langsamste Roman der Welt
Alexander Bachs „Tagessätze“ – Literatur 05/23
Muss alles anders?
„Alles muss anders“ am FWT – Theater am Rhein 05/23