Wilde Unschuld
USA/Spanien 2007, Laufzeit: 96 Min., FSK 16
Regie: Tom Kalin
Darsteller: Julianne Moore, Stephen Dillane, Eddie Redmayne, Elena Anaya, Unax Ugalde, Belen Rueda, Hugh Dancy
Barbara ist mit dem reichen Erben des Bakelit-Imperiums, Brooks Baekeland, verheiratet. Brooks empfindet das Auftreten seiner Ehefrau innerhalb der High Society jedoch zunehmend als unpassend und peinlich. Schließlich verlässt er sie für eine jüngere Frau. Umso mehr klammert sich Barbara daraufhin an ihren Sohn Antony.
Tom Kalin bringt nach 15 Jahren seinen zweiten Kinofilm auf die Leinwand. Er basiert auf dem preisgekrönten Tatsachenbericht Steven M. L. Aronsons und Natalie Robins, den Howard A. Rodman nun fürs Kino adaptierte. In episodischer Erzählweise, über vier Jahrzehnte hinweg, von 1946 bis 1972, nimmt der Film die Dysfunktionalität der amerikanischen Upper-Class-Familie in den Blick und dabei insbesondere das inzestuöse Abhängigkeitsverhältnis zwischen Barbara (großartig: Julianne Moore) und Antony. Gleich zu Beginn des Films werden Glück und Harmonie innerhalb der Familie im Keim erstickt. Während Brooks seinen Sohn wie einen fremden Gegenstand behandelt, schwingt bei Barbaras mütterlicher Zuneigung ein leiser Wahnsinn mit. Antony, der Erzähler im Film, spricht zwar von Liebe, doch das Wort tönt in eine solch bedrohliche Kulisse hinein, dass hier nur eine pervertierte Form des Begriffs möglich zu sein scheint. Einmal nötigt Barbara ihren Sohn dazu, vor Gästen aus de Sades „Justine oder vom Missgeschick der Tugend“ vorzulesen, und verweist damit auf den Beigeschmack des gesamten Films: die nihilistische Selbstzerstörung, die den Figuren innewohnt, ihre Überheblichkeit und Gleichgültigkeit gegenüber sozialen Gefühlen. Etwas ungreifbar Böses liegt in der Luft.
Juan Miguel Azpiroz (Kamera) packt die Szenerie in solch betont hochstilisierte Bilder, dass man ihnen nicht trauen kann und sie eine unheilvolle Atmosphäre verbreiten, die zusätzlich unterstützt wird durch den klassisch-düsteren Score eines Psychothrillers. Und auch die Worte der Figuren wirken so betont und schneidend, einer Raubkatze gleich, die jeden Moment zum Sprung ansetzen kann, dass jeder Anflug echten Glücks sogleich zerstört ist. Ihr Glück suchen die Figuren in einem hedonistischen Lebensstil, den der Film schließlich für ihr Unglück und ihren Untergang verantwortlich macht. Das nahezu verzweifelte Streben nach Lustgewinn lässt die Familie auch permanent und ruhelos den Wohnort wechseln. Luxuriös ausgestattet, an den angesagten Orten der Welt wie Paris, New York, Mallorca und London, finden sie jedoch nie ein richtiges Zuhause. Einmal ahnt Antony, dass die ungezügelte materielle Sehnsucht ihnen zum Verhängnis werden könnte, nämlich wenn er die Behauptung seines Großvaters, dass Reichtum es einem erlaube, nicht mit den Konsequenzen seiner Vergehen leben zu müssen, in Frage stellt. Kurz darauf verfällt er jedoch dem Wahnsinn, in den er sukzessive durch Vater und Mutter getrieben wurde.
(Alexandra Kaschek)
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