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Pressefreiheit im Auge behalten
Foto: Maxi Braun

„Eine Art digital verlängerter Stammtisch“

30. Juni 2016

Frank Überall, Vorsitze­nder des DJV, über Sparzwang und „Lügenpresse“-Vorwürfe – Thema 07/16 Freiheit

choices: Herr Überall, wie steht es um die Arbeitsbedingungen von Journalisten, die sich regelmäßig „Lügenpresse“-Vorwürfen aber auch immer häufiger physischen Übergriffen auf Demonstrationen ausgesetzt sehen?
Frank Überall: Die Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten gleichen zuweilen denen in internationalen Krisengebieten. Vor allem bei Demonstrationen von Extremisten werden Kollegen immer häufiger beschimpft, geschlagen oder mit Flaschen und Chinaböllern beworfen. Um auf die Situation aufmerksam zu machen, habe ich mit dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) den Watchblog www.augenzeugen.info gestartet.

Welche Rolle spielen in dem Zusammenhang die sozialen Netzwerke, in denen gegen Journalisten gehetzt wird?
Soziale Netzwerke sind eine Art digital verlängerter Stammtisch. Was früher nach dem ausführlichen Genuss alkoholischer Getränke im Hinterzimmer der Kneipe gehetzt wurde, findet jetzt plötzlich eine große Bühne im Internet. Die Hemmschwelle, dort jemanden – auch Journalisten – aufs Übelste zu beschimpfen, ist offenbar gesunken. Das macht mir Sorgen.

Ein Vorwurf aus dem Pegida- und AfD-Lager lautet, die Medien seien von der Regierung gelenkt oder zumindest bevormundet. Halten Sie dem etwas entgegen?

Frank Überall

Foto: HMKW Hochschule

Zur Person: Frank Überall (45) ist Journalist für Print, Hörfunk und Fernsehen und Professor für Journalismus sowie Politik und Soziologie an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Seit November 2015 ist er Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV).


Das ist Unsinn. Mich zum Beispiel kann niemand lenken, dafür bin ich viel zu freiheitsliebend. Nur weil krude Verschwörungstheorien in den Medien nicht vorkommen und sich einzelne Parteien oder Bewegungen nicht positiv genug dargestellt fühlen, kann man kaum von Zensur oder Lenkung sprechen. Die Frage ist ja auch immer, was relevant für eine Berichterstattung ist. Und manche dumpfe Hetze von Pegida oder AfD ist einfach nicht relevant.

Ein weiterer Vorwurf, der besonders nach den Silvestervorfällen in Köln immer wieder erhoben wird, lautet: Journalisten würden bewusst die Nationalität von Straftätern verschweigen…
Das stimmt heute nicht, und es hat auch in der Vergangenheit nicht gestimmt: Die Nationalität oder Herkunft von Straftätern wurde früher auch genannt – zum Beispiel, wenn es um die italienische Mafia ging. Da kam doch niemand auf die Idee, irgendwas Unkonkretes von dubiosen Familienstrukturen zu faseln. Auch hier stellt sich die Frage der Relevanz: Wenn eine Straftat mit der Nationalität zusammenhängt, wird sie genannt. So sieht es auch der Pressekodex vor. Wenn es einen solchen Zusammenhang nicht gibt, wird die Nationalität zurecht weggelassen. Alles andere wäre eine Diskriminierung, die auch nach dem Grundgesetz verboten ist. Im Fall Köln war es vor allem ein Problem, dass von überregionalen Medien nicht schnell genug recherchiert und dass von der Polizei gelogen wurde.

Warum glauben viele Menschen eigentlich den wildesten Verschwörungstheorien, aber wenn etablierte Medien etwas berichten wird es reflexhaft als Lüge abgetan?
Zum einen gibt es einen harten Kern ideologisch Verblendeter, die unser demokratisches System und seine Institutionen grundsätzlich in Frage stellen. Medien werden mit undifferenzierten „Lügenpresse“-Vorwürfen gezielt da angegriffen, wo es am meisten weh tut: Bei der Glaubwürdigkeit. Das ist eine extremistische Argumentationsstrategie, die bedauerlicherweise im Diskurs von größeren Teilen der Bevölkerung anschlussfähig ist. Ich glaube aber auch, dass es da auch ein großes Missverständnis darüber gibt, was Medien überhaupt sind. So manche obskure Seite im Internet wird als „Medium“ wahrgenommen.

Es gibt auch Kritiker, die werfen den Medien vor, die Bürger zu bevormunden, wenn nach Terroranschlägen bestimmte Bilder nicht gezeigt würden.
Journalismus ist nicht die PR-Abteilung terroristischer Abteilungen, genauso wenig wie wir die Deutungsangebote von Unternehmen oder aus der Politik unkritisch übernehmen. Mal ganz abgesehen von juristischen Fragen des Jugendschutzes und des Persönlichkeitsrechts gibt es auch so etwas wie eine journalistische Ethik. Drastische Bilder von zerfetzten Leichen gehören nicht in Massenmedien. Damit spielt man nur denen in die Hände, die mit grausamer Gewalt Politik machen und die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes verunsichern wollen.

Kommen wir auf die Arbeitsbedingungen von Journalisten zu sprechen: Klickzahlen sind die neuen Auflagezahlen, immer häufiger scheint Schnelligkeit vor Gründlichkeit zu gehen. Ist der „Lügenpresse“-Vorwurf vielleicht auch ein Stückweit hausgemacht?
Journalisten müssen sich den aktuellen Herausforderungen stellen: Aber Schnelligkeit ist nicht alles. Bei mancher flott publizierten Story fehlt das journalistische Handwerk, also vor allem die ordentliche Recherche. Das liegt vor allem daran, dass Redaktionen kaputtgespart werden. Guter Journalismus aber ist – im Gegensatz zu verschwörerischen Laientexten – nicht zum Nulltarif zu haben. Das müssen sich auch die Konsumenten bewusstmachen: Wer für journalistische Produkte kein Geld ausgibt, kann auf Dauer keine professionelle Dienstleistung erwarten.

Immer häufiger wird in Redaktionen Personal eingespart, oder ehemals konkurrierende Redaktionen werden zusammengelegt. Sind die Verleger vielleicht die größte Gefahr für die Pressefreiheit?
Das sich Verleger Zukunftssorgen machen, kann ich angesichts des rasanten Medienwandels gut nachvollziehen. An den Redaktionen zu sparen, ist aber der falsche Weg. Damit wird der publizistische Kern des Produkts Zeitung ausgehöhlt. Die Menschen merken, wenn die Qualität ihrer Zeitung sinkt, und dann werden sie immer weniger bereit sein, dafür zu bezahlen. Diesen Wettbewerb kann man nur mit konsequenter Orientierung an Qualität gewinnen!

Reallohnverluste bei gleichzeitig erhöhtem Arbeitspensum durch die digitale Herausforderung – wie attraktiv ist der Beruf des Journalisten eigentlich noch?
Ich finde, Journalismus ist immer noch der schönste Beruf der Welt. Es liegt nun an den etablierten Medienhäusern, Konzepte für die Finanzierung von Journalismus auszuarbeiten und anzuwenden. Für die schweren Verlags- und Sender-Tanker ist das eine große Herausforderung. Wenn sie sich aber nicht bewegen und alles kaputtsparen, müssen sie sich bewusstmachen, dass Journalisten die besseren Schnellboote haben. Wenn die Organisationsform als Verlag oder Sender nicht reformfähig ist, werden neue Projekte an ihre Stelle in unserer Medienwelt treten. In der Bevölkerung gibt es schließlich den Wunsch nach verlässlichem, glaubwürdigem und eben professionell gemachtem Journalismus.

Angenommen, Sie hätten eine Glaskugel: Worauf müssen sich Leser, worauf Journalisten ihrer Meinung nach in den nächsten zehn bis zwanzig Jahre einstellen?
Leser werden aktuelle Nachrichten virtuell wahrnehmen – auf welchen Geräten auch immer. Ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass professionelle Einordnung, Hintergründe und Kommentierung weiterhin als Zeitung oder Zeitschrift konsumiert werden. Journalisten müssen sich darauf einstellen, auf verschiedenen Plattformen und in unterschiedlichen Formaten tätig zu sein. Dabei aber gilt auch: Nicht jeder muss alles können und machen. Expertentum wird im Journalismus immer wichtiger.


Lesen Sie weitere Artikel 
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

www.reporter-ohne-grenzen.de | international tätige NGO
www.augenzeugen.info | Watchblog für Übergriffe auf JournalistInnen
www.pressefreiheit-in-deutschland.de | Blogmagazin zu Themen rund um Pressefreiheit in Deutschland

Thema im August: GLEICHHEIT – Gerechtigkeit für alle: geht das überhaupt?
Solidarität mit wem und wofür? Was finden Sie gerecht? Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.

Interview: Bernhard Krebs

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