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„Winterreise"
Foto: © Meyer Originals

Die Kälte unserer Zeit

29. Januar 2015

Jelineks „Winterreise" in der Feuerwache – Theater am Rhein 02/15

Die Bühne ist dunkel. Sphärische Musik ertönt. Auf drei weiße, matratzengroße Stellwände, die aus eng aneinander liegenden Lamellen bestehen, projiziert ein Beamer eine verschneite Waldlandschaft. Textfragmente aus Elfriede Jelineks „Winterreise" laufen durch das Bild. Diese Projektion zieht sich leitmotivisch durch den Abend. Regisseur Jörg Fürst hat sich entschieden, den Text in einer Kooperation von A.Tonal.Theater und Schauspiel an der Ruhr zu inszenieren, da Jelineks autobiographischen Bezüge zur Demenzkrankheit ihres Vaters sich in der Lebenswelt der Laiendarsteller widerspiegeln – „Experten des Alters" zwischen 60 und 80 Jahren, wie er nicht ironiefrei formuliert. Drei Schauspieler des A.Tonal-Ensembles und neun Amateurschauspieler bestreiten den Abend größtenteils chorisch. Inhaltlich greift das Stück verschiedene Diskurse auf. Zum einen geht es um das Verstreichen der Zeit, konkret auch um Flüchtlinge, Bankenskandale, den Fall Natascha Kampusch und die Digitalisierung persönlicher Beziehungen. Fürst inszeniert das in einer Mischung aus Sprechtheater, Performance und Choreographie. Eine Metaebene eröffnet die Inszenierung durch Mikrofone, was eine Verfremdung der Sprechsituation zur Folge hat.

Zwei zentrale Szenen betont Fürst besonders. Zum einen die Bankenkrise. Der Text hebt auf das Wortfeld der Bankenheirat ab, was dann ironisch durch Anzüge und Hochzeitskleid in ein Bühnenbild überführt wird. Die zweite Szene, zugleich die Schlussszene, behandelt die Demenz. Die Schauspieler stehen vor Notenständern, auf denen Textblätter liegen. Während eines Monologs über das Vergessen zerreißen sie die vor ihnen liegenden Blätter und werfen sie in die Luft. Das Material Sprache, fixiert auf dem Textblatt, wird zerstört – parallel gesetzt zur zunehmenden Sprachlosigkeit der Demenz. Naturgemäß sind die Schauspielerleistungen zwischen Profis und Laien sehr unterschiedlich. Bisweilen kommen die Szenen hölzern rüber. Durch die Einbettung des Spiels in musikalische und choreographische Zusammenhänge sowie die spürbar intensive Textarbeit geht das aber kaum zu Lasten des Abends.

„Winterreise" | R: Jörg Fürst | Alte Feuerwache | Fr 6.2. - So 8.2. 20 Uhr | 0221 97 31 55 10

CHRISTOPH OHREM

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