Was bereits im Februar als angeregte Gender-Diskussion im Nachklang eines Filmgesprächs begann, gipfelt am ersten Dezember-Wochenende in einer mehrtägigen Konferenz. Unter dem Titel „Wendepunkte“ lud das Frauenfilmnetzwerk LaDOC in die Aula der Kunsthochschule für Medien (KHM), um über Arbeitsbedingungen und -biografien von Frauen im Dokumentarfilmbereich zu sprechen. Es ging um Produktionskonditionen, Quoten und vor allem um das Selbstverständnis von Filmemacherinnen.
Als LaDOC im Februar Helke Sanders Film „Befreier und Befreite“ über Massenvergewaltigungen Ende des Zweiten Weltkriegs zeigte, kamen lediglich zwei Männer (von denen einer noch während der Vorstellung den Saal verließ). Die Regisseurinnen Carolin Schmitz und Christiane Büchner wunderten sich damals über das „Desinteresse der Männer an dieser Position einer Frau“. Und das, obwohl die Silvesternacht 2015/16 damals noch so präsent war. Am vergangenen Freitag eröffneten die beiden als LaDOC-Mitglieder die „Wendepunkte“-Konferenz, die aus dieser Verwunderung geboren wurde. In Diskussionen, Lesungen, Vorträgen und anhand von Positiv-Beispielen spürten sie Erfolgsfaktoren nach, gesellschaftlich wie individuell.
Ein solches positives Beispiel ist Corinna Belz. Sie ist der erste „Wendepunkte“-Gast vor einem Publikum, das zunächst noch spärlich besetzt ist (Männeranteil: ca. 15%). Ihre Gesprächspartnerinnen Carolin Schmitz und Prof. Dr. Sabine Rollberg, Journalistin und KHM-Dozentin, betonen zu Beginn des Gesprächs, was Belz zur Ausnahmeerscheinung macht: Die Regisseurin („Gerhard Richter Painting“, „Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“) hat es nicht nur geschafft, kontinuierlich Filme zu produzieren und sich mit diesen Filmen einen Namen von tatsächlicher Strahlkraft zu machen. Sie hat sich vor allem auch die Freiheit erarbeitet, ihre eigenen Ideen zu entwickeln und diese auf ihre eigene Weise umzusetzen.
Besonders deutlich wird, dass Belz’ Freiheit auf eine Art Befreiungsschlag – einen ersten Wendepunkt – zurückzuführen ist. Nach ihrem Studium kommt sie beim WDR unter, wenn auch eher zufällig. Dass sie dort ausgerechnet in der Frauenredaktion landet, ist ebenfalls Zufall. In den 90er Jahren erkennt sie schließlich nicht nur, dass diese Redaktion innerhalb des WDR „eine Art Ghetto“ ist, sondern auch, dass die Branche rauer wird. So keimt in ihr mit Anfang 30 erstmals die Vision, lange, „große“ Filme machen zu wollen. Mit viel Ausdauer arbeitet sie an der Umsetzung dieser Vision, sie nutzt ihre Kontakte, ihre Hartnäckigkeit und Sturheit und dreht 1992 ihren ersten Langfilm „Die wirklichen Dinge passieren in der Nacht“. Nachdem sie viele Jahre also etwas produzieren musste, das in das WDR-Sendeschema passt, produziert sie von nun an etwas, das zunehmend in überhaupt kein Schema passt.
„Ich wollte die Freiheit haben einen Film zu machen, bei dem ich sage: Wenn jetzt alle rausrennen, auch gut!“ Das zeichnet sie aus und provoziert eine Nachfrage der Moderatorinnen: Wie konnte sie sich finanziell leisten, ihren eigenen Weg zu gehen? Belz antwortet unumwunden, dass das nur funktionierte, weil ihr Mann während dieser Zeit genug Geld verdiente.
Neben dem „Wie?“ beherrscht ein durchaus kritisches „Warum?“ das Gespräch, von Rollberg auf den Punkt gebracht: Ausgerechnet Corinna Belz als eine der starken Frauen im Dokumentarfilmbereich stehe mit ihren Filmen über Gerhard Richter, Peter Handke und demnächst Hans-Peter Feldmann für Portraits von „großen, alten Männern, die auch ein bisschen sperrig sind und mit denen auch sonst nie so richtig einer zusammenarbeiten wollte“. Was fasziniert sie an diesen Männern? Und warum hat sie keine Frauenportraits gedreht?, fragt eine Zuschauerin. Es sind die Lebensentwürfe, die Belz faszinieren; diese energische Selbstsicherheit und Bestimmtheit in Bezug auf das eigene Können und Wollen, die schon früh in allen drei Männern angelegt gewesen sei. Ihr selbst habe ein solcher Fahrplan gefehlt. Tatsächlich gibt es auch Filme über Frauen von Belz, zuletzt „Drei Frauen, drei Wünsche, ein Jahr“ (2005). Dafür hat sie aber keinerlei Preise verliehen bekommen, war zu keinem Festival oder Gespräch geladen und erhielt insgesamt wenig Resonanz. Symptomatisch? Vielleicht.
Schließlich pochen die Moderatorinnen noch auf Ratschläge, wollen sie auf ein Erfolgsrezept festnageln und scherzen: „Gib was ab von deinem Ruhm!“ Belz tut sich ein wenig schwer mit Tipps, erinnert sich aber, dass regelmäßige Reflexion für sie entscheidend gewesen sei – immer wieder hinterfragen, ob man mit seinen Fähigkeiten am richtigen Ort sei. Dann rät sie noch zu Dickköpfigkeit und Vertrauen in die eigene Intuition. „Wendepunkte“ fungiert hier auch als Schnittstelle zwischen denen, die es geschafft haben, und denen, die noch am Anfang stehen. Viele Studenten sind im Publikum, die KHM ist der richtige Ort für diese Konferenz. Hier wie auch an anderen Filmhochschulen ist das Geschlechterverhältnis noch ausgewogen, später in der Filmbranche dagegen sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Es wird wohl noch viele Wendepunkte brauchen, um daran etwas zu ändern. Die LaDOC-Konferenz könnte ein Katalysator sein. Am Ende des Gesprächs ist die Stimmung ausgelassen und angeregt, die Aula hat sich inzwischen gefüllt. Männeranteil: ca. 40%.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Paradigmenwechsel im Mensch-Natur-Verhältnis“
Mirjam Leuze zum LaDOC-Werkstattgespräch mit Kamerafrau Magda Kowalcyk („Cow“) – Foyer 03/24
Betrachter:in und Betrachtete
Dokumentarfilm-Konferenz von LaDoc – Festival 11/22
LaDoc – Afghanistan
Über Frauenrechte in Afghanistan – Festival 12/21
„Standpunkte benennen, Perspektiven formulieren“
Wie die LaDOC-Konferenz Netz<>Werk 2021 zum Handeln ermuntern will – Festival 03/21
Das andere Geschlecht
LaDOC zeigt Filme über die Vulva zwischen Tabu und Tuning – Reihe 12/19
Stereotypen überwinden lernen
„Gender Diversität in Film und Fernsehen“ an der KHM – Foyer 12/18
Mit lauter und klarer Stimme
Beryl Magoko erhält Großen Kunstpreis der Freunde der KHM – Kunst 11/18
Macht und Diversität
LaDoc hinterfragt Machtstrukturen in Film und Fernsehen – Kino 11/18
Über Kunst, Medien und das Reich dazwischen
Medienkunst-Nachwuchs beim KHM-Rundgang 2018 – Kunst 07/18
From Rags to Punk
Musikdoku „Parallel Planes“ beim Frauenfilmfestival – Foyer 05/18
Vier Außenseiter
„Draußen“ eröffnet Frauenfilmfestival – Foyer 04/18
Liest du noch oder guckst du schon?
Navid Kermani, Ulrich Peltzer und Isabel Pfeiffer-Poensgen diskutierten an der KHM – Literatur 04/18
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
Doppelter Einsatz für „Afrika“
Spendenaufruf des Afrika Film Festivals – Festival 05/24
Wenn Kino Schule macht
Die Reihe Filmgeschichte(n) spürt Schulgeschichten auf – Festival 05/24
Prominente Drehorte
Der Verein Köln im Film zeigt in Köln gedrehte Spielfilme – Festival 05/24
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
Filmgeschichten, die das Leben schreibt
Neue Dokumentarfilme aus einer verrückten Welt – Festival 01/24
Kino galore
European Arthouse Cinema Day 2023 – Festival 11/23
„Dialog ist der Schlüssel zur Veränderung“
3 Fragen an Kyra Scheurer vom Festival Edimotion – Festival 10/23