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Die Großstadt im Blick: Charles Bronson in "Ein Mann geht über Leichen"
Foto: Columbia Pictures

Der ewige Rächer

02. November 2011

Wäre am 3. November 90 geworden: Charles Bronson aus Ehrenfeld – Portrait 11/11

Es gibt diese Szene in Michael Winners Polizeithriller „Ein Mann geht über Leichen“, die viel von der Faszination Charles Bronsons erklärt, auch wenn sie aus der deutschen Fassung seinerzeit herausgeschnitten wurde. Der wegen seiner rüden Methoden berüchtigte Kommissar Lou Torrey spricht mit seiner geschiedenen Frau über die gemeinsame Tochter. Bald geht es wieder um Torreys harten Arbeitsalltag. Sie sagt schließlich: „Mein Gott, Lou. Wenn ich dich ansehe, sehe ich diese Stadt.“ Die Kamera zeigt Charles Bronsons zerfurchtes Gesicht mit den winzigen Augen und dem schmalen Schnurrbart, das auf seltsame Weise die Härte des Lebens zu spiegeln scheint. Ein Gesicht, das so ganz anders war als das der Schönlinge und vermeintlichen Superstars – und sich trotzdem in das Gedächtnis unzähliger Filmliebhaber einbrannte.

Der Junge aus Ehrenfeld
Charles Bronson wächst als eines von 15 Kindern in dem kleinen Städtchen Ehrenfeld in Pennsylvania auf. Der Vater stirbt, als er zehn ist. Sechs Jahre später schuftet er in den Kohleminen, um die Familie zu ernähren. Der junge Mann kommt zum Militär und muss in den Zweiten Weltkrieg. Nach seiner Rückkehr, er ist 22, lädt ihn ein Freund ins Theater ein. „Anna Lucasta“ steht auf dem Programm. „Es war sterbenslangweilig. Ich wollte schon gehen, aber mein Kumpel fand das unmöglich. Ich blieb also und dachte mir: Okay, das kann ich auch. Aber besser.“ Bronson beginnt in Philadelphia mit der Schauspielerei, kommt an die Off-Theater, rutscht in die Filmbranche. Er spielt unzählige Nebenrollen in Western, gerät an John Sturges und Robert Aldrich, die ihn mit „Die glorreichen Sieben“, „Gesprengte Ketten“ und „Das dreckige Dutzend“ endlich auch in Übersee bekannt machen. 1968 wird Bronson mit „Bei Bullen singen Freunde nicht“ und „Spiel mir das Lied vom Tod“ zum Superstar in Europa. Die Franzosen lieben ihn als „heiliges Monster“ und bescheren ihm in den folgenden Jahren Kassenrekorde. 1972 wird der Mann, der eigentlich Charles Buchinsky heißt, mittels einer Umfrage der Agentur Reuters zum „populärsten Schauspieler der Welt“ gekürt. Nur in Amerika, wo Bronson mit seiner Frau Jill Ireland und sechs teilweise adoptierten Kindern lebt, lässt der Durchbruch weiter auf sich warten.

Vom Western in die Großstadt
Der englische Regisseur Michael Winner dreht mit Bronson schließlich vier Filme, die das Image des Mannes aus Ehrenfeld entscheidend prägen. Nach dem komplexen Spätwestern „Chatos Land“ besetzt Winner seinen Star auch in dem cleveren Killerdrama „Kalter Hauch“ und dem unterschätzten Hardboiled-Thriller „Ein Mann geht über Leichen“. Die Filme laufen solide. Dann kommt Winners vierter Streich: „Ein Mann sieht rot – Death Wish.“ Nach langem Hin und Her wird die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Brian Garfield über einen bis dato zurückhaltenden New Yorker Bürger, der nach der Vergewaltigung von Frau und Tochter zum selbsternannten Rächer in Stadtparks und U-Bahnhöfen wird, zum Kassenknüller. Der Film kopiert die Zweikämpfe der Westernstädtchen in die juristisch wie polizeilich durchorganisierte Metropolis – und sorgt für zahllose Diskussionen und dementsprechende Ticketverkäufe. Der Westernheld Bronson, der in der modernen Großstadt einfach weiter auf die Vergeltungsmethoden seines Mundharmonika-Spielers aus der Leone-Oper „Spiel mir das Lied vom Tod“ setzt, fasziniert die Massen. Richard Fleischers „Das Gesetz bin ich“ über den Melonenzüchter Majestyk wird in den USA der zweite große Erfolg des Jahres 1974.

„Bronson is back on the streets“
Die folgenden Jahre versucht sich Bronson in Actionkomödien, Western und Don Siegels Agententhriller „Telefon“, doch nichts will wirklich klappen. Erst die berühmt-berüchtigten Krawallbrüder Menahem Golan und Yoram Globus schießen den mittlerweile 60jährigen Schauspieler, der sich selber auf der Leinwand nicht sehen kann und am Set in den Drehpausen schweigsam und alleine in der Ecke sitzt, mit zwei „Death Wish“-Fortsetzungen wieder an die Spitze der amerikanischen und internationalen Kinocharts. Bronsons kantiges Gesicht ist mittlerweile mehrfach geliftet, sein Körper aber immer noch topfit. Als bis an die Zähne bewaffneter Action-Opa knöpft er sich nach Straßengangs endlich auch Folterärzte und Drogenbosse vor – und begleitet bis Ende der achtziger Jahre das männliche Publikum auf der Reise vom Kinocenter in die Videotheken. Bronson lässt sich nach dem tragischen Krebstod von Jill Ireland zu einer letzten „Death Wish“-Fortsetzung, einem ungewöhnlichen Auftritt in Sean Penns „The Indian Runner“ und einigen Fernsehkrimis überreden. Mit den Worten „Ach, Lieutenant, wenn Sie mal Hilfe brauchen, rufen Sie mich an“ entschwindet er 1994 von der Kinoleinwand. Ende der neunziger Jahre wird bei Bronson dann Alzheimer diagnostiziert. Er vergisst zunehmend sein Leben und Werk und stirbt 2003 im Beisein seiner dritten Frau Kim Weeks.
Dass Charles Bronson eigentlich immer ein Westernstar war, ist aus heutiger Sicht offensichtlich. Alle seine Filme, besonders auch die fünfteilige „Death Wish“-Reihe, funktionieren nach den Regeln des Westernkinos. Wer das Kino als Zufluchtsort schätzt, an dem Gerechtigkeit hergestellt werden soll, für den wird der Name Charles Bronson wohl für alle Zeiten einen unverwechselbaren Klang haben. Schließlich ist der Wunsch nach Gerechtigkeit der Urgrund eines jeden Kinobesuchs.

Rüdiger Schmidt-Sodingen

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