Die Gefahr, dass Religion als Vorwand für Fundamentalismus dient, ist in allen drei monotheistischen Weltreligionen angelegt, wie lassen sich die gegenwärtigen Konflikte in Syrien, ausgelöst durch den Islamischen Staat, in einen global-historischen Kontext einordnen? Am 29.10, findet im Studio DuMont eine Podiumsdiskussion zum Thema „Macht der Religion – Glaube und Gewalt“ statt, die live im Deutschlandfunk übertragen wird. Zu Gast sind der Theologe Friedrich Wilhelm Graf, die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, die türkische CDU-Landtagsabgeordnete Serap Güler und der Historiker Michael Wolfssohn.
Es beginnt einleitend Herr Wolfssohn: „In der christlichen Geschichte war Gewalt schon immer ein wesentlicher Bestandteil. Man muss nur einen Blick in das Alte Testament werfen.“ Die Blutspur auf dem Pergamentpapier sei nur allzu deutlich, hier finde man keinen friedlichen, liebenden und gerechten Gott, sondern einen Gott der jähzornig sei und seine Gläubigen dazu auffordere, die „Gottlosen“ zu vertreiben und zu bestrafen. „Das fünfte Gebot ‚Du sollst nicht töten‘ erscheint in diesem Lichte wie ein merkwürdiger Widerspruch. Aber diese Widersprüchlichkeit, diese Doppeldeutigkeit, macht Glauben aus“, so Herr Wolfssohn. Auf viele Fragen gebe es nicht die eine richtige Antwort, sondern jeder müsse für sich selbst den richtigen Weg im Glauben finden.
Theologe Friedrich Wilhelm Graf betont, dass jener Zwiespalt ebenso in anderen Religion zu finden sei: „Der Buddhismus gilt in unserem westlichen Weltbild als die friedvollste aller Religionen, dort gehe es nur um gutes Karma und Atemtechniken, so meint man. Dass die Lehren Buddhas in Asien jedoch mit dem Schwert und auf Kosten vieler Toter verbreitet wurde, ist hier gänzlich unbekannt“. Auch im Koran stoßen wir auf dieselben Kontroversen. Auf der einen Seite stehe ein liebender und gütiger Gott, auf der anderen ein Gott, der keine Andersdenkenden toleriere und den Djihad propagiert. Weder alle Christen, noch alle Muslime sind aber dadurch per se Extremisten. Den typischen 0815-Muslimen gebe es nicht, „Es ist wichtig im Islam zu differenzieren, es existiert nicht die eine wahre Auslegung des Koran, oder der eine richtige Weg den Glauben zu praktizieren“, so die CDU-Politikerin Serap Güler. „Als Christ möchte man ja ebenso nicht in einem Atemzug mit christlichen Fundamentalisten, wie den Kreationisten oder den Zeugen Jehovas verglichen werden“, vergleicht Herr Graf. „Was der Islamische Staat beispielsweise in Syrien betreibt, sei nichts weiter als grausame Barbarei und die Instrumentalisierung des Korans, um an politische Macht zu gelangen“. Und Frau Kaddor ergänzt: „Vom allergrößten Teil der muslimischen Bevölkerung wird die ISIS auf schärfste kritisiert, das sind nichts weiter als Monster“. Die friedvollen Proteste von gläubigen Muslimen in Deutschland unterstützen diese These.
Sakrale Werke, wie die Bibel oder der Koran, sind äußerst komplex und verfügen über multidimensionale Interpretationsebenen, die nur analytisch nachzuvollziehen sind. „Der Koran wird beispielsweise überwiegend auf Arabisch rezitiert, dabei können sehr viele Muslime nicht einmal arabisch sprechen oder lesen, geschweige denn ein 1000 Jahre altes Buch in seinen historisch-lokalen Gesamtkontext einordnen“, so die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. Einmal seien fünf Schüler der syrischen Dozentin sogar in den Jihad gezogen, um in Syrien für die Rechte der Muslime zu kämpfen, ohne überhaupt eine Ahnung zu haben, wer dort gegen wen kämpfe oder wer Gut und wer Böse sei. Nach einer Woche seien sie zurück aus Syrien gekommen, weil sie völlig geschockt von der Situation dort gewesen wären und die versprochene, notwendige Rettung der Muslime nicht notwendig gewesen sei. Der größte Anteil der Opfer der ISIS seien laut Medienberichten die muslimischen Bevölkerungsgruppen.
Wie kritisch diese Debatte ist, bemerkt man, wenn man sich einige Fragen – oder besser: Behauptungen – aus dem Publikum der Diskussionsrunde anschaut: Ein älterer Herr stellt die These auf, sowohl die Wurzel für die Konflikte in Syrien, als auch die Probleme der Integration von muslimischen Mitbürgern in die westliche Gesellschaft, wurzele einzig im Koran – die Lehre des Islam sei der wahre Ursprung für Gewalt und Intoleranz. Auf dieses harsche Statement wussten Herr Graf und Frau Kaddor geschickt zu kontern: Der Kern der Problematik läge vielmehr an mangelnder Bildung der Migranten, als an der religiösen Lehre. So berichtet die Islamwissenschaftlerin von einer älteren Studie aus den USA, die herausfand, dass die muslimisch-arabischen US-Bürger, die am besten integrierte Bevölkerungsgruppe in ganz Amerika seien. Wie kommt es dazu? „Das liegt daran, dass die USA damals nur gebildete Araber immigrierte, die über ein hohes Bildungsniveau verfügten“, so Frau Kaddor. „Außerdem stammen sie allesamt aus ähnlichen ethnischen Kulturgruppen und waren ebenso finanziell wohlhabend“. Hier in Deutschland hingegen, luden wir als Gastarbeiter die bildungsferne Schicht der unter anderem türkischen Landbevölkerung ein. Und wir hatten damals keinerlei Interesse daran, diese Bürger in unsere gesellschaftliche Mitte aufzunehmen, geschweige denn ihnen eine Chance zu geben, sich mittels Bildung selbst integrieren zu können. Dass dies einen perfekten Nährboden für Radikalismus und Gewalt bietet, sollte keinen mehr verwundern.
Es gebe aber auch Grund zur Hoffnung. Herr Graf ist überzeugt, dass wir uns auf einem globalgesellschaftlich guten Weg befänden. Auch das Christentum hat seine dunklen Jahrhunderte überwunden, in denen Hexenverfolgung und Zwangschristianisierung vorherrschten. „Die aktuellen Entwicklungen im Islam-Konflikt sind Reflexion unserer eigenen westlich-christlichen Zeitgeschichte“ so der Theologe. Auch Goethe kritisierte seiner Zeit mehrfach das brutale Christentum, so in seinem Werk „Faust“:
„Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch allein, meine lieben Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen.“
Von diesem Weltbild haben wir uns zum Glück größtenteils distanzieren können, nur wenig ist vom christlichen Extremismus heute übrig geblieben. Zwar entbehrt diese Podiumsdiskussion jeglicher konstruktiver Strategie, um ein besseres Zusammenleben gemeinsam mit unseren muslimischen Mitbürgern zu gestalten, aber ein gegenseitiges, kulturelles Verständnis und Kooperation ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
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