Skandal im Hause Schönberg. Zunächst merkt der große Erfinder der Zwölftonmusik Arnold S. zwar nicht, dass seine Frau Mathilde mit dem Maler Richard G. ein Verhältnis hat. Das Liebespaar steht eng umschlungen auf dem Bühnensteg, während der Komponist tonversunken um es herumtappt. Dann aber platzt das Eifersuchtsbömbchen, und es geht zu wie in der billigsten Soap. Tränen, Telefonate, Rauswurf des Lovers, Anschweigen, Selbstmord mit dem Stromkabel – es ist was los in den wohlgehüteten Nischen der Hochkultur. Die drei Darsteller in dunklem Anzug und Kostüm tragen das alles in berichtendem Ton vor, während sie fast schamhaft die Schwarzweiß-Porträts ihrer historischen Figuren vor sich halten – wie Feigenblätter des Rollenspiels.
„Aufbruch vor der Barbarei“ nennt die Studiobühne ihre Reihe, mit der sie die Zeit vor der Nazidiktatur in Theaterabenden thematisiert. Nach den Stücken wie „Toller Fallada“ oder „Lulu“ nimmt man sich nun zum Abschuss den Komponisten Arnold Schönberg vor. Der Titel „12“ spielt auf die bahnbrechende Kompositionsmethode mit zwölf gleichberechtigten, aufeinander bezogenen Tönen an, die neben das funktionsharmonische Dur-Moll-System trat. Regisseur Tim Mrosek unterläuft sein Thema schon mit der Besetzung: Jennifer Ewert, Rebecca Madita Hundt und Manuel Moser in Anzug und Kostüm bilden einen Dreiklang, der zwar dissonant sein mag, aber dem Dur-Moll-Systems zuzurechnen ist – und der gleichzeitig die Grundbesetzung aller billigen Eifersuchtsdramen benennt: Mann-Frau-Liebhaber. Nur dass diese hier in Crossgender-Besetzung gespielt werden.
Bevor das Drama auf dem Catwalksteg seinen Lauf nimmt – und damit die am Anfang verkündeten Regeln der Zentralstelle Postdramatik konterkariert werden – gibt es an drei Mikros einen kleinen Volkshochschulkurs in Sachen „Zwölftonmusik“. Dabei lernt man, dass zu den Kompositionsprinzipien mit der zwölftönigen Grundreihe auch die Spiegelung gehört, dass also ein Intervall nach oben sich zu einem Intervall nach unten verkehrt. Damit ist der Schlüssel für den Abend gefunden. Mrosek überträgt Schönbergs Kompositionsmethode aufs Theater und entdeckt den Kitsch in der Hochkultur, den billigen Soapakteur im Musikgenie. Neben dem Schönbergschen Eifersuchtsdrama (das verbürgt ist) gibt’s nämlich auch noch eine Marketingintrige zu bestaunen, mit der Alma Mahler-Werfel angeblich den Roman „Doktor Faustus“ von Thomas Mann als Schönberg-Porträt zu lancieren versuchte (was übertrieben ist). Das ist dann – trotz der guten Schauspieler – allerdings kaum mehr als postdramatischer Boulevard. Diese Dialektik wird sogar bis in die Gegenüberstellung von Popsong („Deviltown“ von Bright Eyes) und Zwölftonkomposition durchbuchstabiert – ihr Erkenntnisgewinn bleibt gering. Außerdem fehlen dem Abend die biographischen Kurzschlüsse zwischen den historischen Figuren und den Darstellern, die „Toller / Fallada“ so spannend gemacht hatten.
„12“ von c.t.201 | Regie: Tim Mrosek | Studiobühne, Universitätsstr. 16a
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