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Constantin Hochkeppel
Foto: P.Basener [headshots.cgn]

„Ich glaube an die Kraft des Theaters“

25. Februar 2021

Choreograf Constantin Hochkeppel über Physical Theatre – Interview 03/21

Die Krise macht es Künstlern schwer, ihr Leben wie gewohnt auszuleben. Immer abhängig von Entscheidungen über Öffnungen und Lockdowns lassen sich Bühnenprogramme schwer planen. Aufgrund der Hygieneregeln kann nicht im großen Ensemble auf der Bühne geprobt werden, es darf in keiner Szene Intimität aufkommen. Das Physical Theatre ist eine Kunstform, in deren erzählendem Zentrum der Körper steht. Wie kann man sich aktuell die Arbeit im Physical Theatre also vorstellen?

Wir sprachen mit Constantin Hochkeppel, der als gefeierter Choreograf, Tänzer und Movement Director in Köln lebt und arbeitet. Gerade erhielt der 30-Jährige ein Stipendium der KunstSalon Stiftung: finanzielle und logistische Unterstützung für die kommenden drei Jahre. Im Staatstheater Kassel unterstützt Hochkeppel als Movement Director das Musical-Stück „Next to Normal“. Gemeinsam mit Elisabeth Hofmann und Laura N. Junghanns gründete er vor vier Jahren die Physical-Theatre-Company KimchiBrot Connection. Zurzeit erarbeitet das Team, zu dem auch Christiane Holtschulte zählt, ein neues Stück. Zuvor absolvierte der Wahlkölner den Studiengang Physical Theatre an der Essener Folkwang Universität der Künste. Im Interview erzählt Constantin von seinem Weg zu dieser körperlichen Theaterform und von den Aktivitäten trotz Virus.

choices: Constantin, wie geht es dir im Moment? Welche Arbeit lässt sich momentan machen?
Constantin Hochkeppel: Momentan bin ich in der Produktion mit der Company KimchiBrot Connection, wir probieren grade ein neues Stück, das Ende März Premiere haben soll. Hoffentlich, man weiß es ja nicht.

Wie wird das Stück heißen und worum geht es darin?
Der Stücktitel ist „keep on survivin'“ und es geht um Verlust und den Umgang mit Verlust.

Wurde das Thema durch die Krise beeinflusst oder war die Idee schon vorher da?
Das Thema war eigentlich schon vorher klar, aber das bedingt sich natürlich. Wenn man Gelder beantragt, muss man das ja immer mit einem gewissen Vorlauf machen – das Konzept haben wir vor einem Jahr schon geschrieben. Es hat sich aber über die Zeit verändert und verändert sich auch immer weiter, während wir jetzt proben.

Wie könnt ihr denn proben, wie findet das zurzeit statt?
Naja, unter Coronabedingungen – das heißt, mit Abstand, mit Maske, mit so wenig Menschen wie möglich im Raum. Eben mit all solchen Vorkehrungen.


„in decent times“
Foto: André Symann

Das ist ja besonders schwierig für deine Fachrichtung, in der es um Körperlichkeit geht, Kontakt und Nähe.
Ja, tatsächlich ist das schwierig, und da ist immer eine große Schere in unseren Köpfen, die ganz viele Ideen direkt beschneidet. Ich habe das Gefühl, dass man gar nicht in so einen Arbeitsflow kommt, weil immer wieder Ideen verworfen werden müssen, die einfach nicht funktionieren, weil wir uns zum Beispiel würden anfassen müssen. Es geht einfach so vieles nicht, was vor einem Jahr noch ging.

Was macht das Physical Theatre aus deiner Sicht aus, was ist das Wichtigste, die Motivation?
Also für mich steht das Thema im Vordergrund, das behandelt wird, und als nächstes kommt direkt der Körper. Und als drittes kommt die Sprache: Mir ist es sehr wichtig, dass es lebendig ist, dass es schnell ist. Auch, dass es unterhaltsam ist und das Thema auf eine leichte Art und Weise transportiert wird.

Der Humor ist auf jeden Fall ein wichtiges Element, wie ich in deinem Stück „in decent times“ erkennen konnte.
Ja, genau. Das ist mir total wichtig – ohne dann aber die Tiefe zu verlieren. Auch wenn es Szenen geben mag, die besonders schwer auszuhalten sein mögen, ist es mir sehr wichtig, dass da immer noch der Humor oder eine Komik drin ist. Weil das dann nochmal mit dem Messer durch den Rücken ins Auge trifft. Ich habe auch das Gefühl, dass man so noch mehr Leute kriegt.

Wie kamst du denn zu dieser Form des Theaters? Und wie kamst du überhaupt zum Theater und zum Tanz?
Ich wurde, als ich klein war, von meiner Mutter in die Tanzschule gesteckt. Da war ich wahrscheinlich fünf Jahre alt.

Klassisches Ballett?
Nee, das war so Kindertanz; Jazzdance. Weil ich mich immer viel bewegt habe, viel gespielt habe. Ich kann mich auch daran erinnern, dass ich ein Puppenhaus in den Kindergarten mitgenommen und den anderen Kindern dann etwas mit Puppen vorgespielt habe. Jedenfalls gab es in diesem kleinen Studio auch eine Theaterbühne, und dann habe ich irgendwann auch Theater gemacht. Und das hat sich eigentlich so die ganze Schulzeit durchgezogen: Ich war dann in der Theater-AG, habe im Düsseldorfer Schauspielhaus in einer Jugendgruppe mitgespielt. Dadurch bin ich dann auch an Film und Fernsehen geraten und habe eine Zeit lang Filme für Kino und TV gedreht.


KimchiBrot Connection bei der Arbeit an „keep on survivin‘“
Foto: Charles Deichmann

Und dann das Studium?
Ich bin gar nicht auf den Studiengang Physical Theatre gekommen, auf den hat mich eine Freundin gebracht. In der Form, wie er an der Folkwang geboten wird, ist dieser Studiengang einzigartig in Deutschland. Damals, 2012, waren es an der staatlichen Universität noch vier Leute, die in einem Jahrgang aufgenommen wurden. So habe ich dann mit 22 begonnen, für vier Jahre zu studieren, dann mit einem Diplom abgeschlossen. Und da habe ich das Physical Theatre eigentlich erst kennengelernt – die ganze Zeit haben wir uns jedoch gefragt, was ist denn das überhaupt? Wir sind darauf gekommen, dass der Studiengangsleiter Thomas stich diese Frage offenlässt, damit wir sie selber für uns definieren können. Mit dem Studium und auch der Praxis danach habe ich so für mich diesen Prozess der Definition und Definierung des Genres angefangen – und ihn jetzt auch noch nicht abgeschlossen.

Es ist ein Prozess und eine stetige Veränderung.
Genau – wichtig ist mir, dass es körperlich ist und dass es energetisch ist, dass es wie gesagt diese Komik hat und dass das Thema behandelt wird. Aber wie das dann letzten Endes auf der Bühne aussieht...

Du wirkst auch mit bei „Next to Normal“, einem Broadway-Musical, das in Kassel umgesetzt wird – als Movement Director. Was kannst du zu dem Projekt erzählen? Wie kann man sich deine Rolle dort vorstellen?
Der Regisseur Philipp Rosendahl hat das Sagen, was die Inszenierung angeht. Und ich arbeite dort, um Bilder zu choreografieren, also, wie sich die Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne bewegen. Oder wenn es Fragen gibt zu bewegungschorischen Momenten. Ich choreografiere einzelne Songs zum Beispiel oder helfe den Schauspieler:innen bei der Findung bestimmter Bewegungen. Ich inszeniere Bewegungen; ob es nun um das gesamte Bild geht, oder um Mikrobewegungen. Oder wenn jemand eine Frage hat: Wie können wir es unter Wahrung der Corona-Restriktionen am besten koordinieren, dass eine Person von einem Raum in den nächsten geht, während eine andere ihren Weg kreuzt.

Wie wichtig ist denn, deiner Meinung nach, für Physical Theatre die Musik? Ich erinnere mich an einige Stücke in deinem preisgekrönten Stück „in decent times“?
Für „in decent times“ habe ich mit dem Komponisten Marco Mlynek zusammengearbeitet und habe noch den „Danse Macabre“ von Camille Saint-Saëns dazugenommen. So pauschal kann ich das gar nicht beantworten! Ich finde, wenn ich mir Stücke anschaue, ist die Musik immer ein gutes Mittel, um die Bilder auf mich wirken zu lassen, wenn sie so prominent eingesetzt wird. Bei KimchiBrot arbeiten wir auch viel mit Musik, mit unserer Sound-Designerin Laura N. Junghanns.

Eines der Gründungsmitglieder der Company.
Genau. Sie macht auch in unserem aktuellen Stück das Sound Design und die Komposition. Das ist schon ein sehr wichtiges Mittel, und wenn ich Stücke entwickle, habe ich am liebsten jemanden dabei, der oder die die Musik macht. Sodass man unhierarchisch zusammenarbeitet und es gemeinsam entstehen lässt. Ich finde einfach, das macht es rund. Für mich gehört Musik genauso dazu wie Bewegung und Text. Es ist ein weiteres Puzzleteil, mit dem ich gerne spiele.

Apropos Text: Was die Stimme und den Körper angeht, wie ist das im Moment für Schauspieler – muss man jetzt extra Stimmtraining machen, damit die Stimme nicht verkümmert? Was für Übungen machst du zuhause?
Ich habe ja vier Jahre lang Stimmbildung gehabt an der Uni, und habe dort ein paar Mechanismen für mich entdecken können, wo die Stimme sitzt. Oder was ich machen muss, um die Stimme laut zu kriegen, ohne sie mir zu zerstören. Ich muss gestehen, ich bin ein bisschen faul, was das Stimmtraining anbelangt – zumal ich gerade auch in einer sehr hellhörigen Wohnung lebe und ein bisschen Scheu habe, meinen Nachbar:innen auf den Geist zu gehen.

Das mögen Nachbarn sehr gerne.
Ich merke aber, wenn ich mich aufwärme, dass das sehr schnell wiederkommt. Das eigentlich viel größere Problem ist die klare Aussprache: Konsonanten, Endungen von Worten. Da merke ich schon, dass ich dafür ein bisschen mehr tun muss, wenn ich Texte spreche, um wieder reinzukommen. Aber der Körper erinnert so gut, da bin ich schnell wieder drin.

Gibst du im Moment noch Workshops, zum Beispiel über Zoom? Oder nur mit leiblich anwesenden Schülern, wenn es wieder geht?
Das findet momentan nicht statt. Den nächsten Workshop werde ich erst im Sommer wieder geben. Ich bin ja auch selbst Dozent an der Folkwang – das werde ich auch erst dann machen, wenn ich wieder hinfahren kann, und dann im Workshop-Format mit denen arbeiten. Es gibt zwar Bereiche des Physical Theatre, die recht theoretisch sind – das ginge wohl schon über Zoom. Aber da bin ich nicht der richtige Ansprechpartner für und ich muss ehrlich gestehen, dass ich mich dem auch ein bisschen verweigere. Denn was ich von den Zoom-Konferenzen bisher mitbekommen habe, ist, dass ich das unglaublich anstrengend finde, mich da zu konzentrieren. Darüber dann einen Workshop anzuleiten, ist für mich eigentlich unvorstellbar.

Du hast ganz frisch ein dreijähriges Stipendium der KunstSalon Stiftung bekommen. Wie kamst du dazu, hast du dich darum beworben?
Nein, das war total überraschend und ich habe mich unglaublich gefreut! Ich bin seit 2017 mit dem KunstSalon in Kontakt, weil wir da mit KimchiBrot den ersten KunstSalon Theaterpreis gewonnen haben. Seitdem gibt es einen sehr engen Austausch. Ich wurde schon häufiger auf deren „Jour fixe“ eingeladen und habe dort über meine Arbeit berichtet. Mein Stück „in decent times“ hat letztes Jahr auch den KunstSalon Theaterpreis gewonnen. Und da hat sich die Stiftung jetzt entschieden, mich längerfristig und konstanter zu unterstützen.

Das ist gerade in diesen Zeiten eine große Erleichterung, oder?
Ja, das ist eine unglaubliche Hilfe. Also, nicht nur das Geld – auch die ganze Infrastruktur, die die KunstSalon Stiftung bieten kann. Das ist vor allem das Netzwerk, das die Stiftung hat, und die Reichweite des KunstSalons. Und ich habe dort konkrete Ansprechpartner:innen, wenn es um Dinge wie das Kulturmanagement geht oder um eine Strategie, wie ich mich in Zukunft aufstellen kann, oder soll, oder will.

Was sind deine wichtigsten Einflüsse? Was waren Dinge, die dich besonders beeindruckt haben?
Welche Company mich wirklich beeindruckt, ist DV8 aus Großbritannien. Die machen auch Physical Theatre, haben unglaublich starke Spieler:innen und eine tolle Art, Geschichten zu erzählen. Die verbinden Sprache und Körper auf brillante Weise.

Was treibt dich an, auch in schwierigen Zeiten weiterzumachen?
Was mich weiter antreibt – das hört sich total banal an – ist die Hoffnung darauf, dass wir irgendwann alle durchgeimpft sind und wieder auf die Straße gehen können. Uns umarmen können. Meine Sorge ist, dass uns das Thema Corona noch länger beschäftigt, als uns lieb ist. Ich habe ganz arg Sorge vor psychischen Langzeitfolgen, die sich auftun. Vor allem bei Menschen, die den Lockdown nicht so leicht wegstecken können wie andere.

Ja, das ist eine Gefahr.
Und auf der anderen Seite diese krasse Spaltung – auch wenn sich das jetzt ein bisschen populistisch anhört – die Spaltung der Gesellschaft. Ich merke, dass es Menschen gibt, die ich verloren habe, also, mit denen ich nicht mehr sprechen kann. Die die absurdesten, groteskesten Dinge glauben. Ich glaube, dass uns nicht nur auf einer individuellen psychischen Ebene, sondern auch auf einer größeren gesellschaftlichen Ebene noch einiges nach der Pandemie bleiben wird. Da glaube ich aber auch, dass Theater ganz gut helfen kann, auch wenn es nicht „The Saviour of the World“ ist. Die Aufgabe des Theaters ist es nun mal, den Spiegel vorzuhalten und eine Sicht eines Künstlers/einer Künstlerin auf ein bestimmtes Thema auf die Bühne zu bringen. Da kann ganz viel mit angestoßen, auf den Tisch gepackt und bearbeitet werden. Ich glaube an die Kraft des Theaters als Ort, der Diskussionen anregt, Austausch und Kommunikation, aber auf einer friedvollen Basis. Ich glaube fest daran – sonst würde ich das auch, glaube ich, nicht machen.

keep on survivin‘ | R: KimchiBrot Connection | Termine nach Ankündigung | Studiobühne Köln | studiobuehnekoeln.de

Interview: Rosanna Großmann

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