Elfriede versucht‘s halt immer wieder. „Also, ihr macht eh, was ihr wollt“, lautet ironisch der erste Satz ihres Textes „Abraumhalde“. Gemeint sind natürlich die unverbesserlichen Regisseure, die sich an nichts halten, was die große Jelinek ihnen vor die Füße legt. Jetzt schlägt sie sogar vor, den Text als Hintergrundmusik laufen zu lassen, als „Tapete für irgendwelche Popanze“, beinahe unhörbar. Egal, die Textverweser werden sich sowieso nicht dran halten, Simone Blattner am Bonner Theater vermutlich auch nicht. Geht es doch mal wieder um alles, nämlich um Geld und Glaube, die mehr verbindet, als man gemeinhin denkt. Und natürlich den ganzen Müll wie Toleranz, Moral, Menschlichkeit, der auf der Aufklärungshalde herumliegt und auf sein Recycling wartet und wartet und wartet. Ganz zu schweigen von den Toten, die am Glauben oder am Geld oder an den ideologischen Verbrämungen zugrunde gegangen sind. Anlass des Textes war eine „Nathan“-Aufführung in Hamburg, zu der Elfriede Jelinek ihre kurze „Abraumhalde“ beigesteuert hat – die natürlich aber auch für einen eigenen Abend taugt.
Vom Titel her passt Magdalena Schrefels Stück „Sprengkörperballade“ perfekt in den Jelinekschen Dunstkreis. Die 1984 geborene Autorin hatte in ihrem ersten Stück untersucht, wie ein Vater sich immer weiter von seinem Sohn und auch von Welt zurückzieht – bis er nur noch in die Natur hineinhorcht. „Sprengkörperballade“, das Andrea Irmler in Köln zur Uraufführung bringt, untersucht dagegen drei unterschiedliche Frauenkonstellationen: Die bis ins Alter währenden quälenden Kinderspiele der beiden Schwestern Gundel und Fuzzi. Daneben die Versuche von Mutter Djana mithilfe ihrer Tochter Gina die Trennung von ihrem Mann nachzustellen. Gleichzeitig streunt die andere Tochter Zabina mit ihrer Freundin Bine durch die Stadt. Verschiedene Generationen, verschiedene Formen der Suche nach Identität und Heimat.
Vorsätzliche Heimatlosigkeit, das Löschen jeglicher Spuren, also auch der Erinnerungen – das ist der Traum im Internetzeitalter. Die unerreichbare Utopie. Doch wehe dem, dem das gelingt. In Simon Solbergs Recherche-Thriller „BND – Big Data is watching you“ gelingt das einem Mann. Er verschwindet plötzlich und alle heften sich an seine Fersen: Ermittler, Spione, Journalisten. Und alle wühlen sich akribisch durch den Datenmüll aus öffentlicher und privater Überwachung und Speicherung, der jeder User unterliegt. Wo ein Klick ist, da ist auch ein Weg. Bei der Suche nach dem Untergetauchten bringen die Wühlmäuse im algorithmischen Untergrund zahlreiche Ungereimtheiten und Skandale zum Vorschein. Skandale, die bis tief in die Historie des BND zurückreichen, die aber auch Verstrickungen mit der Tagespolitik offenlegen. Dass Agentengeschichten auch etwas von einer Farce haben, dürfte sich Simon vermutlich auch nicht entgehen lassen.
„Abraumhalde“ | R: Simone Blattner | Do 18.5.(P) 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
„Sprengkörperballade“ | R: Andrea Irmler | Fr 21.4.(P) 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 28400
„BND – Big Data is watching you“ | R: Simon Solberg | Do 27.4.(P) 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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