Es gehört zu den Ironien des Lebens, dass der Pionier zuweilen von einem Schüler rechts überholt wird und selber als die Kopie des eigenen Originals wirkt. Dies ist die Hypothek, mit der Stefan Bachmann ab September die Nachfolge von Karin Beier als Intendant des Kölner Schauspiels antritt. Ein schweres Erbe, obwohl gerade er – neben Frank Castorf an der Berliner Volksbühne – Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre in Basel zeigte, wie man zeitgenössisches Stadttheater heutzutage frisch und neu interpretieren kann. Eine Vorlage, an die Karin Beier in ihrer Kölner Ära äußerst klug anzuknüpfen wusste. Bachmann hat zudem mit der verlängerten Interimszeit während der Kölner Bühnensanierung zu kämpfen, die ihn auf die andere Seite ins Depot im Mülheimer Carlswerk zwingt. Ob es hier abermals glückt, den Wechsel in eine Ausweichstätte – wie bereits in der EXPO XXI, dem Palladium oder dem Gerling-Quartier gelungen – zu einem ästhetischen Mehrwert umzumünzen, ist trotz frisch angelegten Gartenbeets vor der Riesenhalle fraglich. Der Startschuss zur Ära Bachmann fällt in Mülheim für den gemeinen Kölner weit ab vom Schuss.
Unter diesen Vorzeichen sind wir äußerst gespannt, wie sich Bachmann in seiner ersten Spielzeit präsentieren wird. Mit „Der Streik“ (Premiere: 12.10.) und „Genesis“ (Kölner Premiere: 1.11.) können die Kölner ihren neuen, ebenfalls Regie führenden Intendanten bald selbst unter die Lupe nehmen. Gerade Bachmanns Bibelbearbeitung „Genesis“ sorgte in Zürich Ende 2012 für Furore: „Die Balance auf dem schmalen Grat zwischen Hollywoodfilm und Westernmythen, Monty Python, Oberammergau und Josephsroman erweist sich als pfiffig, hintergründig, sogar amüsant – und in Stefan Bachmanns Regie als bühnentauglich“, meinte damals der Deutschlandfunk. 2012 erhielt Bachmann zudem die Auszeichnung „Bester Regisseur des Jahres“ der österreichischen Tageszeitung „Kurier“. Die Kölner können sich trotz Abschiedsschmerzes und „Vorstadtspielstätte“ also auch freuen: Der Mann kann was!
Den Spielzeitauftakt verantwortet am 27. September nicht er selber, sondern mit Rafael Sanchez („Der Nackte Wahnsinn“) ein Regisseur mit spanischen Wurzeln und Weggefährte von Bachmann aus Baseler Zeiten. 2008 übernahm Sanchez die Intendanz am Theater Neumarkt in Zürich und inszenierte an prominenten Häusern wie dem Thalia Theater Hamburg, dem Deutschen Theater Berlin oder dem Schauspiel Zürich. Weitere Regisseure der ersten Spielzeit sind Moritz Sostmann („Der Gute Mensch Von Sezuan“), ein Regisseur, Schau- und Puppenspieler aus Berlin, und Angela Richter („Kippenberger“), eine Berliner Regisseurin, die sich bislang vor allem in der Freien Szene und im Grenzbereich von Theater und Live Art tummelte. Länger im Stadttheatergeschäft ist da Christina Paulhofer, die nach der familiären Flucht aus Rumänien 1975 ihre Karriere am Schauspielhaus in Bochum startete und seither an den größten deutschen Bühnen Regie führte. Jan Bosse und Rainald Grebe sind weitere bekannte Namen der ersten Bachmann-Spielzeit, nach der wir von der ersten Spielzeit nach Karin Beier oder der Ersten der Ära Bachmann sprechen werden. Wir wünschen uns und ihm Letzteres ...
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