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Mitglieder der AG Arsch huh: Arno Steffen, Henning Krautmacher, Tommy Engel, Wolfgang Niedecken, Peter Brings u.a.

Wir sind Köln

16. Dezember 2014

„Arsch huh“-Demo: 15.000 Kölner beziehen Stellung gegen rechts

Es war kalt unter dem blauen Himmel. Zur Kundgebung „Du bes Kölle“ gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus versammelten sich am vergangenen Sonntag ab 13:45 Uhr rund 15.000 Kölner zu Getrommel hinter dem Bahnhof auf dem Breslauer Platz. Parteien und Vereine ließen ihre Fahnen sehen: Schade nur, dass keine Partei rechts von den Grünen wirklich ins Auge fiel. Nach einer Eröffnungskundgebung marschierte die Menge hinter den Perkussionisten von Mario Argandona geschlossen zur Turiner Straße, wo auf Höhe des Thürmchenswall eine Konzertbühne aufgebaut war. Aufgerufen zu der Demo hatte die seit 1992 bestehende Musiker-Initiative „Arsch huh, Zäng ussenander“ nach der beängstigenden „Hooligans gegen Salafisten“-Demo auf dem Breslauer Platz am 26. Oktober, bei der Polizisten angegriffen wurden.


Einige Karnevalisten auf dem Breslauer Platz zu Beginn des Marsches

Der Publizist Martin Stankowski, der zusammen mit Shary Reeves moderierte, versuchte in seiner Begrüßungsrede am Bahnhof, sich inhaltlich mit den Parolen der Hooligans auseinanderzusetzen, und zeigte, dass man mit solchen Versuchen schnell an Grenzen stößt: Die Hooligans mit ihren Parolen vom „deutschen Boden“ und ihren Hitlergrüßen legten eine sehr vereinfachte Weltsicht an den Tag. Sie würden sich als „patriotische Europäer“ darstellen, aus deren Reihen aber doch immer nur gegen die EU gestimmt würde. Ihr Verständnis vom „Abendland“ ginge völlig an dem vorbei, wofür das Abendland wirklich stehe. Viel mehr als eine „Generalverbitterung“ sei inhaltlich nicht auszumachen. Von Frau Merkel sei dazu wenig zu hören gewesen, auch die Anti-Flüchtlingsdiskussion ignoriere sie. (Seit Sonntag hat Merkel aber die Pegida-Aktionen erneut verurteilt.) Es sei gut, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, sagte er mit Verweis auf die Ergebnisse der Studie zur Migration, die die Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben hatte und laut der die Sozialkassen von Migranten profitierten. Er beklagte die Abstumpfung gegenüber Flüchtlingsschicksalen und die europäische (und deutsche) Entscheidung gegen die Operation „Mare Nostrum“ der italienischen Marine, die zigtausende Leben gerettet und eigentlich den Friedensnobelpreis verdient habe. Nachdem Stankowski an die Herkunft der Namen „Breslauer Platz“ und „Turiner Straße“ erinnerte, sang der schwul-lesbische Chor „Stimmfusion“ zunächst das Kölner Lied „Unsere Stammbaum“.


Turiner Straße

Auf der großen Bühne machte Bürgermeister Jürgen Roters (SPD) den Auftakt. Er nannte den 26.10. einen „schwarzen Tag“, der sich „auf unseren Straßen nie wiederholen“ dürfe. Nun gelinge es dank „Arsch huh“, ein friedliches und buntes Bild Kölns dagegen zu setzen. Das Thema der Hooligan-Demo entkräftete er mit den Worten: „Wir sind es, die mit den Salafisten nichts zu tun haben wollen, nicht irgendjemand anders.“ Von Rechtsextremismus in Nadelstreifenanzügen dürfe sich die Gesellschaft nicht spalten lassen.

Nun war es Zeit für einen gemeinsamen Auftritt der „Arsch huh“-Musiker, ebenfalls mit dem Song „Unsere Stammbaum“, unter Anleitung von Ex-Black-Fööss-Frontmann Tommy Engel. Das Publikum sang laut mit. Martin Stankowski knüpfte anschließend kurz an seine vorherige Rede an, indem er die Rechtsextremen als „nicht diskursfähig“ bezeichnete; sie sprächen nicht mit der Presse und verunglimpften diese zugleich mit Verschwörungstheorien.


Georg Restle von „Monitor“

Als Respräsentant einer freien Presse wurde „Monitor“-Redaktionsleiter Georg Restle auf die Bühne geholt. Dass im Oktober rechtsextreme Hooligans zusammen mit altbekannten Neofaschisten eine Demo organisiert hätten, sei für ihn weniger besorgniserregend als die Tatsache, „dass diese Nazis jetzt endlich ein Thema gefunden haben, mit ihrem Kampf gegen Salafisten, mit dem sie in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen.“ Dieselben Gruppen treffe man in Düsseldorf, Hannover oder Bonn wieder, und ihnen ginge es nicht wirklich um den Kampf gegen Gotteskrieger und Jihadisten: „Im Gegenteil, sie haben viel mit ihnen gemeinsam.“ Beide würden gegen eine weltoffene Gesellschaft kämpfen, gegen Religionsfreiheit, gegen die Rechte von Schwulen und Lesben, gegen Andersartigkeit. Die Pegida-Bewegung habe mit den Hooligans gemeinsam, dass hinter dem Wort „aber“ die wirkliche Gesinnung versteckt werde, wie in „Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, aber…“ Im Kern würde gegen das demokratische Establishment gekämpft, zu dem auch Journalisten gerechnet würden. Einwanderung solle zum „Gnadenakt werden für die wenigen, die uns nützlich sein können“.

Um diese Menschen zu erreichen, müsse man sich aber klarmachen, dass nicht alle, die etwa in Dresden demonstrierten, Nazis seien, sondern viele auch Menschen mit Ängsten, in deren Köpfen sich das „Gift des Nationalismus eingenistet“ habe. Es gehe daher jetzt um hartnäckige Aufklärung etwa über den wirtschaftlichen Nutzen von Migration und darüber, dass Kriminalität vor allem mit Ausgrenzung zu tun habe und „dass internationale Solidarität am Ende allen nützt“. Die Veranstaltung sei ein „guter Anfang“, der ihn stolz mache, ein Kölner zu sein. Restle erntete mehrfach Applaus.


Jürgen Becker

Nach Musik von den Paveiern („Wenn wir uns all verstonn“) kam Jürgen Becker auf die Bühne. „So viel Doofheit, wie damals auf dem Breslauer Platz finden Sie in keinen Tierpark.“ Den regelrechten „Shitstorm von rechts“ auf den Facebook-Seiten von Brings und Kasalla, als diese sich als nicht ausländerfeindlich zu erkennen gaben, hätten gezeigt, dass der Rassismus in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Becker warf die Frage auf, ob das nicht auch an den Songs liege, ob die Kölner „Lobeshymnen“ den Rechten nicht als ein Ersatz für ihr „Deutschland, Deutschland über alles“ sehr munden würden. Und: „Wer zum Bespiel gerade in den Köln-Laden auf der Venloer in Ehrenfeld gerät, der fühlt sich wie im Fanshop der NPD! T-Shirts mit ‚Kölsch Bloot‘ in Frakturschrift. ‚Jebore en de Strasse von Kölle‘.“ Auch der Karneval im Gürzenich sei ihm wegen seiner Schunkelei zu gewissen Textzeilen suspekt. „Kölschtümelei hat eine offene Flanke zum rechten Rand.“ Köln schön finden, sei nicht dasselbe wie Köln schönfärben. Er übte auch Kritik an ehemals sozialkritischen Kölner Bands und am Umstand, dass selbst um die Veranstaltung herum konstruierte Sprüche („Kein Nazis he op unser Plätz!“) im Kölner Dialekt für Ausländer und auch für die meisten Kölner unverständlich seien. „So spricht doch keiner!“ Macht auch nichts. Wer kein Kölsch könne, sei hinzugezogen und habe sich „bewusst für diese Stadt entscheiden, dieses Biotop für Bekloppte!“


Fatih Çevikkollu

Fatih Çevikkollu legte zunächst eine Schweigeminute für die am 26. November verstorbene Tuğçe Albayrak ein, deren tödlicher Versuch, einen Streit zu schlichten, eine neue Diskussion über Zivilcourage ausgelöst hat. Die „unbeschreiblich aggressive Stimmung“ in Köln am 26.10. hatte Çevikkollu in Angst vorgesetzt. Seinem Kind würde er die Hooligans als Fußballfans erklären, die ein Spiel verloren hätten ­­– „allerdings schon 1945.“ Bei den alle Jahre auftauchenden rechtsextremistischen Manifestationen habe er das Gefühl: „Und täglich grüßt das Nazi-Tier“. Er erinnerte an Solingen 1993, an „Jabba the Hut“ Helmut Kohls Worte: „Wir sind kein Einwanderungsland“, und an geschredderte NSU-Akten: „Das war die Ausführung einer Amtsanweisung.“ Die 5000 „Deppen“ in Dresden seien ausländerfeindlich, weil man früher für den von der Politik bewusst in Kauf genommenen „sozialen Gau“ nach der deutschen Währungsunion einen praktischen Sündenbock bereitgestellt habe. Denn: „Wie viele Ausländer gibt’s überhaupt in Dresden?“


Brings und Eko Fresh

Wolfgang Niedecken, BAP-Sänger und 1992 Textautor von „Arsch huh“, sang „Wellenreiter“, einen über 30 Jahre alten Song über „Jugendliche auf der Suche nach Identität“. Es könne dabei schon mal vorkommen, dass einer auf dem Holzweg lande. Die Muslimin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor zeigte kein Verständnis, für diejenigen, die sich Pegida anschließen. In Deutschland gebe es 4,5 Mio. Muslime, und es ginge nicht, dass Leute wie der Innenminister öffentlich Verständnis für so eine Bewegung heuchelten. Salafisten seien auch für Muslime gefährlich, aber auch nicht schlimmer als die andere Seite der Medaille: Islamhass. Tommy Engel war froh, dass man in so kurzer Zeit so viele Leute habe aktivieren können: Die Rede war gegen drei Uhr von über 16.000 Menschen. Er sang „Du bes Kölle“. Brings und Eko Fresh sangen „Es brennt“, ein Lied über den Nagelbombenanschlag in der Keupstraße, die Höhner danach zusammen mit der Microphone Mafia „Der Opportunist“ als einen gegen Mitläufer gerichteten Anti-Gewalt-Song. Arno Steffen spielte mit Kasalla „Arsch huh, Zäng ussenander“.


„Der Opportnunist“ - Höhner und Microphone Mafia

Reiner Schmidt von „Köln stellt sich quer“ rief alle, die Zeit hätten, dazu auf, den Marsch der Pegida/Bogida in Bonn am Montag zu verhindern. Daneben kritisierte er eine der neuen Song-Strophen des Nachmittags, die links und rechts quasi auf eine Stufe stelle. Andreas Kosinski von der antifaschistischen Initiative „Kein Veedel für Rassismus“ berichtete, dass es gelungen sei, den Pro-Köln-Wahlkampf zu behindern, indem man u.a. immer wieder zu den Wahlständen gegangen sei und die Flugblätter in braune Müllsäcke gepackt hätte. Die Coloniacs (Ultras 1. FC Köln) bedauerten den Fußballbezug der Hooligan-Szene, sahen Versäumnisse und bezeichneten das Stadion als einen „Spiegel der Gesellschaft“. Für rechtes Gedankengut und Panikmache wollte Coloniacs-Sprecher Eike Wohlgemuth im Stadion keinen Platz bieten. Die Zeltinger Band spielte „Müngersdorfer Stadion“. Auch die Stunksitzung war vertreten (aus „Englishman in New York“ wurde ein stimmungsvoller „Turkish Prinz in Cologne“), Kasalla sang noch den sich mit rechtem Gedankengut auseinandersetzenden SongMer sinn alle nur us Fleisch un Bloot“. „En unserem Veedel“ von den Bläck Fööss wurde als Schlusshymne gewählt. Im Großen und Ganzen hatten die Künstler und Redner den Anwesenden aus dem Herzen gesprochen, man merkte es am zustimmenden Applaus und an der ungeheuren Aufmerksamkeit, die die Menschen an diesem Nachmittag der Bühne schenkten.

Text/Fotos: Jan Schliecker

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