Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 31

12.553 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Christian Fuchs, mit Kathrin Sielker von „Kein Veedel für Rassismus“
Foto: Mathis Beste

Rechts stummschalten

11. Oktober 2019

Christian Fuchs diskutiert im NS-Dok über die Neue Rechte – Spezial 10/19

„Die Neue Rechte hat sich zum Schein an die demokratische Grundordnung angepasst, um ihre Themen in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Aber davon darf man sich nicht täuschen lassen.“ Christian Fuchs steht mit ausgebreiteten Armen vor seiner Präsentation und deutet auf eine digitale Deutschlandkarte, auf der Stiftungen, Verlage und Organisationen eingezeichnet sind, die nach seinen Recherchen dem Netzwerk der Neuen Rechten angehören. Seit vielen Jahren befasst sich der Autor und Zeit-Journalist mit der rechten Szene in Deutschland. Seine Erkenntnisse hat er gemeinsam mit Paul Middelhoff im Buch „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ zusammengefasst.

Der Vortrag „Wie gefährlich sind die Neuen Rechten – auch in Köln?“ am Donnerstag im EL-DE-Haus, dem ehemaligen Sitz der Kölner Gestapo, wurde von der Kampagne „Kein Veedel für Rassismus“ organisiert und hat traurige Aktualität. Der rechtsextremistische Terroranschlag in Halle, bei dem zwei Menschen ermordet wurden, ist erst einen Tag her und beschäftigt nicht nur diejenigen, die Fuchs‘ Vortrag lauschen wollen. „Es freut mich zwar sehr, dass so viele Leute gekommen sind. Aber ich frage mich, ob ich heute hier in Köln überhaupt richtig bin“, erklärt der Autor. Fuchs wurde selbst in Halle geboren, lebt heute im nahen Leipzig.

Die neurechte Szene unterscheidet er deutlich von den Neonazis: Sie treten offen auf der Straße auf, inszenieren sich bürgerlich und gaukeln der Gesellschaft vor, ihre Interessen zu vertreten. In Wirklichkeit schüre die Neue Rechte jedoch Ängste vor dem Fremden, erklärt Fuchs. Mit gezielter Propaganda würde ihr einziges Thema, die angeblich bedrohliche Migration, aufgebauscht. „Warum nehmen die Medien dieses Thema dann so oft auf?“, fragt jemand aus dem Publikum. „Es macht doch alles nur noch schlimmer.“ Fuchs stimmt zu. Er sieht das Problem vor allem beim Fernsehen, da es oft von der Quote abhängig sei: „Wie der Name Talkshow schon sagt, es ist Show. Da geht es nicht nur um Inhalte, da geht es um Unterhaltung.“


Foto: Mathis Beste

Die Verbreitung von rechtem Gedankengut ist dabei kein alleiniges Problem des Ostens. Die interaktive Deutschlandkarte zeigt, dass die meisten Organisationen in NRW sitzen, darunter Burschenschaften, Verlage und sogar ein rechtsorientierter Radiosender, der „auch mal die Charts von 1933 spielt“, wie Fuchs kopfschüttelnd berichtet. Sogar der Sitz der Identitären Bewegung befindet sich in Paderborn.

Ein Zuschauer fragt, ob er für seine Informationen auch Undercover unterwegs gewesen sei. „In den meisten Fällen bin ich mit offenem Visier unterwegs. Ich versuche mich nicht zu verstecken. Denn genau das machen die Feinde der Demokratie.“ Fest steht nach der Recherche: Die Neue Rechte gewinnt nicht nur in Deutschland immer stärker an Zulauf.

Hauptgrund dafür sind vor allem die sozialen Medien. Fuchs bringt einen Screenshot aus einem Messaging-Dienst auf die Leinwand, in dem der „Tagesbefehl“ lautet: „Volle konstruktive Kritik gegen Christian Fuchs.“ Hinter diesem Befehl steht ein Tweet von ihm. In der Gruppe des Dienstes treibt sich eine Trollarmee aus bis zu 8000 Personen herum, deren einzige Aufgabe darin besteht, gezielte Shitstorms über Gegenstimmen niederprasseln zu lassen. Damit wird versucht, Kritiker mundtot zu machen. So geschehen auch bei Fuchs. 

Für ihn besteht der Erfolg rechter Beiträge aber auch darin, dass sie polarisieren: „Egal ob Menschen die dortigen Behauptungen befürworten oder verurteilen, jeder Kommentar und jedes Teilen bringt den Algorithmus dazu, die Beiträge höher zu ranken und damit erfolgreicher zu machen.“ Hinzu kämen Werbeeinnahmen durch Klickzahlen. „Mittlerweile macht die Neue Rechte sogar Musik für Leute, die nicht auf Rechtsrockkonzerte gehen. Es gibt Hip-Hop, Electro und sogar Popmusik, in denen unterschwellige Botschaften gesendet werden.“

Sein Appell am Ende des Vortrags lautet daher: „Beteiligen Sie sich nicht mehr an den Beiträgen der Neuen Rechten, denn damit helfen Sie ihnen.“ Eine Frau meldet sich: „Das heißt, wir sollen die sozialen Netzwerke den Rechten überlassen? Wenn unter den Kommentaren keine Gegenmeinungen mehr sind, könnten Unentschlossene ja denken, es gäbe sie nicht.“ Fuchs argumentiert, dass man damit ohnehin nur seine eigene Filterblase erreiche. Nur unter nachprüfbar seriöse Beiträge solle und müsse man Rechten weiter Paroli bieten, weil diese auch von nicht rechten Menschen konsumiert würden. 

„Wir sehen, dass Rechtsextreme wieder offen auftreten. Sie sitzen in Parlamenten, an der Spitze von Konzernen, aber auch neben uns auf der Parkbank. Deshalb müssen wir Zeichen für Toleranz setzen“, sagt Journalistin Kathrin Sielker, die sich bei „Kein Veedel für Rassismus“ engagiert. „Man sollte noch mehr für die Ziele auf die Straße gehen, die man selbst vertritt und nicht nur gegen Dinge protestieren, die man schlecht findet“, bestätigt Christian Fuchs. Denn nur so könne man seine Zukunft aktiv mitgestalten.

Mathis Beste

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Kung Fu Panda 4

Lesen Sie dazu auch:

Preußische Pappeln im Arbeiterviertel
Wolfgang Frömberg mit „Rückkehr nach Riehl“ im Acephale – Literatur 02/20

„Eine Gefahr für die Demokratie“
Christian Fuchs über das Netzwerk der Neuen Rechten – Interview 10/19

Klebrige Etikettierungen
„Angezettelt – Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute“ im NS-Dok – Spezial 09/18

„Das ging mir sehr an die Substanz“
Andrea Berntzen über „Utøya 22. Juli“ – Roter Teppich 09/18

Wandel durch Annäherung
Seehofers rechtspopulistischer Diskurs

„Linke Politik hat die soziale Frage vernachlässigt“
Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, über rechte Tendenzen in der Bevölkerung

„Es gibt keine soziale Mehrheit im Bundestag“
Linken-Politikerin Sevim Dağdelen über die Sammlungsbewegung #Aufstehen

Bunt, jeck und rechtsblind?
Zwischen Populismus, Bringschuld und klarem Nein. Eine Spurensuche in Köln

Endlich auch mal Augen zu
Schöner leben mit Scheuklappen

Nüchterne Eier
Marie Rotkopf mit „Antiromantisches Manifest“ im King Georg – Literatur 03/18

„Ein Rechtsruck in der Gesellschaft“
Mirja Biel dramatisiert am Theater Bonn Yassin Musharbashs Roman „Radikal“ – Premiere 05/17

Freie Meinung oder Propaganda
Der umstrittene Kölner AfD-Parteitag am 22. April – Spezial 04/17

choices spezial.

Hier erscheint die Aufforderung!