„Die Neue Rechte hat sich zum Schein an die demokratische Grundordnung angepasst, um ihre Themen in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Aber davon darf man sich nicht täuschen lassen.“ Christian Fuchs steht mit ausgebreiteten Armen vor seiner Präsentation und deutet auf eine digitale Deutschlandkarte, auf der Stiftungen, Verlage und Organisationen eingezeichnet sind, die nach seinen Recherchen dem Netzwerk der Neuen Rechten angehören. Seit vielen Jahren befasst sich der Autor und Zeit-Journalist mit der rechten Szene in Deutschland. Seine Erkenntnisse hat er gemeinsam mit Paul Middelhoff im Buch „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ zusammengefasst.
Der Vortrag „Wie gefährlich sind die Neuen Rechten – auch in Köln?“ am Donnerstag im EL-DE-Haus, dem ehemaligen Sitz der Kölner Gestapo, wurde von der Kampagne „Kein Veedel für Rassismus“ organisiert und hat traurige Aktualität. Der rechtsextremistische Terroranschlag in Halle, bei dem zwei Menschen ermordet wurden, ist erst einen Tag her und beschäftigt nicht nur diejenigen, die Fuchs‘ Vortrag lauschen wollen. „Es freut mich zwar sehr, dass so viele Leute gekommen sind. Aber ich frage mich, ob ich heute hier in Köln überhaupt richtig bin“, erklärt der Autor. Fuchs wurde selbst in Halle geboren, lebt heute im nahen Leipzig.
Die neurechte Szene unterscheidet er deutlich von den Neonazis: Sie treten offen auf der Straße auf, inszenieren sich bürgerlich und gaukeln der Gesellschaft vor, ihre Interessen zu vertreten. In Wirklichkeit schüre die Neue Rechte jedoch Ängste vor dem Fremden, erklärt Fuchs. Mit gezielter Propaganda würde ihr einziges Thema, die angeblich bedrohliche Migration, aufgebauscht. „Warum nehmen die Medien dieses Thema dann so oft auf?“, fragt jemand aus dem Publikum. „Es macht doch alles nur noch schlimmer.“ Fuchs stimmt zu. Er sieht das Problem vor allem beim Fernsehen, da es oft von der Quote abhängig sei: „Wie der Name Talkshow schon sagt, es ist Show. Da geht es nicht nur um Inhalte, da geht es um Unterhaltung.“
Die Verbreitung von rechtem Gedankengut ist dabei kein alleiniges Problem des Ostens. Die interaktive Deutschlandkarte zeigt, dass die meisten Organisationen in NRW sitzen, darunter Burschenschaften, Verlage und sogar ein rechtsorientierter Radiosender, der „auch mal die Charts von 1933 spielt“, wie Fuchs kopfschüttelnd berichtet. Sogar der Sitz der Identitären Bewegung befindet sich in Paderborn.
Ein Zuschauer fragt, ob er für seine Informationen auch Undercover unterwegs gewesen sei. „In den meisten Fällen bin ich mit offenem Visier unterwegs. Ich versuche mich nicht zu verstecken. Denn genau das machen die Feinde der Demokratie.“ Fest steht nach der Recherche: Die Neue Rechte gewinnt nicht nur in Deutschland immer stärker an Zulauf.
Hauptgrund dafür sind vor allem die sozialen Medien. Fuchs bringt einen Screenshot aus einem Messaging-Dienst auf die Leinwand, in dem der „Tagesbefehl“ lautet: „Volle konstruktive Kritik gegen Christian Fuchs.“ Hinter diesem Befehl steht ein Tweet von ihm. In der Gruppe des Dienstes treibt sich eine Trollarmee aus bis zu 8000 Personen herum, deren einzige Aufgabe darin besteht, gezielte Shitstorms über Gegenstimmen niederprasseln zu lassen. Damit wird versucht, Kritiker mundtot zu machen. So geschehen auch bei Fuchs.
Für ihn besteht der Erfolg rechter Beiträge aber auch darin, dass sie polarisieren: „Egal ob Menschen die dortigen Behauptungen befürworten oder verurteilen, jeder Kommentar und jedes Teilen bringt den Algorithmus dazu, die Beiträge höher zu ranken und damit erfolgreicher zu machen.“ Hinzu kämen Werbeeinnahmen durch Klickzahlen. „Mittlerweile macht die Neue Rechte sogar Musik für Leute, die nicht auf Rechtsrockkonzerte gehen. Es gibt Hip-Hop, Electro und sogar Popmusik, in denen unterschwellige Botschaften gesendet werden.“
Sein Appell am Ende des Vortrags lautet daher: „Beteiligen Sie sich nicht mehr an den Beiträgen der Neuen Rechten, denn damit helfen Sie ihnen.“ Eine Frau meldet sich: „Das heißt, wir sollen die sozialen Netzwerke den Rechten überlassen? Wenn unter den Kommentaren keine Gegenmeinungen mehr sind, könnten Unentschlossene ja denken, es gäbe sie nicht.“ Fuchs argumentiert, dass man damit ohnehin nur seine eigene Filterblase erreiche. Nur unter nachprüfbar seriöse Beiträge solle und müsse man Rechten weiter Paroli bieten, weil diese auch von nicht rechten Menschen konsumiert würden.
„Wir sehen, dass Rechtsextreme wieder offen auftreten. Sie sitzen in Parlamenten, an der Spitze von Konzernen, aber auch neben uns auf der Parkbank. Deshalb müssen wir Zeichen für Toleranz setzen“, sagt Journalistin Kathrin Sielker, die sich bei „Kein Veedel für Rassismus“ engagiert. „Man sollte noch mehr für die Ziele auf die Straße gehen, die man selbst vertritt und nicht nur gegen Dinge protestieren, die man schlecht findet“, bestätigt Christian Fuchs. Denn nur so könne man seine Zukunft aktiv mitgestalten.
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