Dem Machterhalt der CSU in Bayern ordnet er alles unter. Kein Preis scheint Horst Seehofer zu hoch, um im Oktober die absolute Mehrheit bei den Landtagswahlen zu verteidigen. Ein wesentlicher Bestandteil seiner Politik, ist ein lange für unfehlbar gehaltenes Mittel: In Bayern, so ist es von Franz-Josef Strauß überliefert, dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei rechts von der CSU geben. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die CSU seit einem halben Jahrhundert auf Ausgrenzung und Abwerbung. Gezielt wurden Themen von den Republikanern, der DVU und der NPD übernommen. So entwickelte sich die CSU gleichsam mit jeder Abwehr einer neuen rechten Partei selbst weiter nach rechts. Der Aufstieg der AfD indes verlangt, das Strauß-Dogma, um Seehofer zu zitieren, „bis zur letzten Patrone“ zu verteidigen – sogar um den Preis, mit der CSU aus dem Kreis der klassisch-demokratischen Parteien auszutreten. Dass er dabei auch die Institution des Bundesinnenministers nachhaltig beschädigt, nimmt Seehofer ebenfalls in Kauf.
Als Horst Seehofer am 14. März 2018 zum Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat ernannt wurde, stellten sich Fragen: Wer würde stärker sein, der Mensch Seehofer oder das Amt des Bundesinnenministers? Wer würde wen wie umformen? Ein Vierteljahr später scheint’s, als unterzögen sich Amt und Person gemeinsam einer unaufhaltsamen Verwandlung. Alleine die Übernahme des Begriffs „Heimat“ in die ministerielle Postenbeschreibung deutete diesen Prozess schon an.
Rechtspopulistische Entgleisungen sind Seehofer nicht fremd. Noch bevor Pegida oder AfD ins Licht der politischen Öffentlichkeit traten, hatte Seehofer beim Politischen Aschermittwoch 2011 seine martialische Bereitschaft erklärt, sich „gegen die Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme zu wehren – bis zur letzten Patrone“. Und 2013 folgte das griffige „Wer betrügt, der fliegt“ gegen die sogenannte Armutsmigration aus Osteuropa. Pegida gab es da noch nicht einmal und die AfD wollte unter ihrem Gründer Bernd Lucke noch eine europaskeptische, rechtsliberale Partei werden. Die sich langsam aufbauende rechtspopulistische Welle surfte damals vor allem der Bayrische Ministerpräsident. Er kann mit Fug und Recht als ein früher Stichwortgeber der sogenannten „Wutbürger“ gesehen werden, die im Seehoferschen Duktus immer „besorgte Bürger“ waren.
Seehofer hatte sein Thema – Flüchtlinge, Grenzen, Abschieben, „Härte zeigen“ – also schon gefunden, als die AfD auf dem Essener Parteitag 2015 Lucke abservierte und sich endgültig am rechten Rand verortete. Seither haben AfD und Seehofer einen gemeinsamen Feind: die liberale und „weiche“ Politik Merkels. Während die AfD im Verein mit Pegida „Merkel muss weg!“ krakelt, stellt Seehofer Politik und Person der Kanzlerin öffentlich in Frage und unterläuft und demütigt die Kanzlerin, wo er nur kann. Der Verfassungsminister Seehofer scheut dabei nicht mal davor zurück, die grundgesetzlich garantierte Richtlinienkompetenz der Kanzlerin in Frage zu stellen. Dass er damit das Bundesinnenministerium anti-demokratisch kontaminiert, was weitreichende und fatale Folgen haben könnte, scheint ihm egal. Dabei ist die Richtlinienkompetenz, wie der Autor Georg Seeßlen kürzlich schrieb, „ein Grundprinzip der sowohl realen als auch symbolischen Machtorganisation in der repräsentativen Demokratie Deutschlands“.
Nachdem sich Seehofer im Unionsstreit über die Asylpraxis mit seinem Rücktritt-Rücktritts-Eiertanz vom Posten des Bundesinnenministers bis auf die Knochen blamiert hatte, und zu Recht scharf kritisiert wurde, wähnte er sich schließlich als Opfer einer Medienkampagne. Und er machte sich – als Verfassungsminister! – den Pegida-/AfD-Dauerbrenner vom „politisch-medialen Komplex“ und den „Fake News“ zu eigen, gegen den er sich nun per Twitter zur Wehr setzen will. Ob sich das dann so liest wie es sich im Bierzelt in Töging am Inn angehört hatte? „Jetzt steht also der böse Seehofer vor Ihnen. Der Mörder, der Terrorist, der Rassist“, hatte Seehofer dort verschmitzt lächelnd gesagt, es aber wie immer nicht so gemeint. Nur, via Twitter könnte das gefährlich werden. Ironie kommt im Internet nicht so gut. Und die Leute halten es am Ende noch für ein Bekenntnis.
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