Ruhig, grün, eigener Garten, aber trotzdem in der Stadt − so eine Wohnsituation wünschen sich viele Menschen. In Zeiten aber, in denen Wohnraum in Großstädten grundsätzlich eine Mangelware darstellt, bleibt das für die allermeisten ein Traum. Insbesondere für diejenigen, die nicht zu den Besserverdienenden gehören.
In Köln-Zollstock haben Bürger:innen ein Konzept für ein soziales und integratives Wohnbauprojekt entwickelt, das genau in diese Lücke stoßen will: „Wir wollen zeigen, dass auch arme Menschen in einer vernünftigen Wohnung leben können, in der kein giftiger Müll verbaut wurde“, sagt Ralf Leppin. Er ist Vorstandsmitglied der Genossenschaft, die die Initiative gestartet hat. Ihr Vorhaben: 100 % sozialer Wohnungsbau mit insgesamt 103 Wohnungen, darunter auch eine inklusive WG und eine auf 50 Jahre festgesetzte Mietpreisbindung. Das Projekt soll die bestehende historische Siedlung in Zollstock, einst abwertend „Indianersiedlung“ getauft, erweitern. Die brachliegende, direkt an die Indianersiedlung angrenzende Fläche, um die es jetzt geht, wurde von der Stadt lange Zeit als ein potenzielles Erweiterungsgebiet für den Südfriedhof geführt. „Wir haben das immer genutzt, da ist eine große Koppel, die so etwas wie unser Marktplatz ist“, erzählt Leppin. 2008 trat dann eine rechtliche Änderung in Kraft: Die Stadt wies Teile des Grundstücks als Wohnbaufläche aus; „in dem Dokument stand auch drin, dass unserer Siedlung damit die Möglichkeit gegeben werden soll, sich zu vergrößern. Uns war klar, da müssen wir jetzt sofort ran!“, so Leppin. Da nicht alle Mitglieder aus der alten Siedlergenossenschaft mitmachen wollten, wurde eine neue Genossenschaft gegründet, die dann Kaufverhandlungen mit der Stadt aufnahm.
Allerdings zeigte sich schnell, dass die Interessenlagen komplizierter waren als gedacht. Das Liegenschaftsamt wollte lieber einen Wettbewerb zum Verkauf des Grundstücks ausschreiben. „Das war ein totaler Schock für uns, weil es fraglich war, ob unser Sozialprojekt da eine reale Chance haben würde“, so Leppin. Der Weg zum Erfolg lag schließlich in der politischen Mobilisierung: „Bei den politischen Parteien haben wir mit unserem Konzept offene Türen eingerannt“. Ein solches, aus der Bürgerschaft heraus geborenes Sozialprojekt dem Profit zu opfern, das wollte in der Politik keiner: 2017 stellten sich in einem einstimmigen Ratsbeschluss alle politischen Parteien hinter das Vorhaben.
Die vergangenen drei Jahre lief das sogenannte Vollverfahren, um die baurechtlichen Voraussetzungen zu klären. Im Rahmen dessen musste die Genossenschaft eine Vielzahl an Gutachten beauftragen, um die Förderfähigkeit des Projekts abzusichern. Jeder einzelne Baum wurde kartiert, ein Mobilitätskonzept entwickelt, der Bau einer Kita zugesichert und vieles mehr.
Im Besitz all dieser Unterlagen folgte der vermeintlich letzte Schritt, die Ermittlung des Verkehrswerts. Der Gutachter ermittelte einen Wert von etwas weniger als 4,5 Millionen Euro. Allerdings folgte prompt eine mehr als doppelt so hohe Forderung des Liegenschaftsamts von 9,8 Millionen Euro − ein für die Genossenschaft nicht finanzierbarer Preis.
Die Verhandlungen sind also noch nicht zu Ende. Beide Seiten müssten jetzt noch mal prüfen, sagt Leppin: „Grundsätzlich gilt, dass wenn ein Bauprojekt einen sozialen Zweck hat, dann darf auch unter dem Verkehrswert verkauft werden“. Die Genossenschaft hofft daher auf ein neues Angebot oder ein faires Erbpacht-Modell. Leppin zeigt sich optimistisch: „Ich denke, wir werden bald einen Schulterschluss hinzubekommen“.
Schlecht beraten - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
levmussleben.eu | Jenseits des Bauskandals streiten Initiativen seit Jahren für eine andere Lösung des Großprojekts Rheinbrücke.
www.transparency.de | Die NGO aus Berlin setzt sich seit den 90er Jahren gegen Korruption und für Transparenz in Wirtschaft und Politik ein.
verkehrswende.koeln | Seit Jahrzehnten fließt öffentliches Geld in den Autoverkehr, nicht immer effizient. Die Verkehrswende-Aktivisten stehen für eine Neuausrichtung.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Das ist eine politische Verantwortung“
Grünen-Politiker Arndt Klocke zum Baustopp der Leverkusener Rheinbrücke
Demokratie heißt Wahlfreiheit. Kapitalismus auch
Wenn Zukunftsvisionen sauer aufstoßen – Glosse
Viren beschleunigen Verkehrswende
Corona-bedingte Eindämmung des Verbrennungsmotors? – Vorbild Belgien
Mit China-Stahl kleingerechnet
Das Desaster um die Leverkusener Rheinbrücke
In höchster Not
Der Kölner Verein Blau-Gelbes Kreuz organisiert Hilfe für die Ukraine
Der Krieg und das Klima
Das Bochumer Klimaschutzbündnis fordert transparente und engagierte Klimapolitik vor Ort
Blühendes Forschungsfeld
Der Elberfelder Friedensgarten erkundet Verständigung auf Mikroebene
Kunstraub in der NS-Zeit
Forschungsprojekt am Museum für Angewandte Kunst Köln
Erinnerungskultur vor Ort
Stadtführung „colonialtracks“ über Essens Kolonialgeschichte
Neues Berufsbild für Flüchtlinge
Die Wuppertaler SprInt eG fördert kultursensibles Dolmetschen
Ein Tabu zu viel
Paula e.V. Köln berät Frauen ab 60 Jahren, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind.
Gendern rettet Leben
Neue Professur für geschlechtersensible Medizin an der Bielefelder Universität
Angst-Räume beseitigen
Die Wuppertaler Stabsstelle für Gleichstellung und Antidiskriminierung
Schöne Technik, sichere Daten
Zu Besuch beim Chaos Computer Club Cologne
Souveränität vs. „Konsumdressur“
Medienpädagoge Daniel Schlep fordert echte Medienkompetenz
An einem Tisch, selbst digital
Wuppertaler Bildungsreihe Fight for Democracy trainiert Verständigung auf Augenhöhe
Weniger Müll ist auch eine Lösung
Zero Waste bald auch in Köln?
Aus Alt mach Neu
Hilfe zur Selbsthilfe: Das Reparatur-Café in Wuppertal-Heckinghausen
Auf den Ruinen der Konsumgesellschaft
Die nachhaltige Werkstatt „Tanz auf Ruinen“ in Dortmund
Wenn die Jugend wählen dürfte
Der Kölner Jugendring vertritt politische Interessen junger Menschen
Nachhaltig glücklich
Die Station Natur und Umwelt in Wuppertal setzt für Klimaschutz auf positive Erlebnisse
Radikal gegen die Trägheit
Die Bochumer Ortsgruppen von Extinction Rebellion und Ende Gelände über Klimaaktivismus
Im deutschen Stromsee
Der Weg zum nachhaltigen Strommix am Beispiel des Kölner Energieanbieters Yello
Energiemix mit wärmendem Müll
Nachhaltige Versorgung in Wuppertal durch das Abfallwerk Korzert
Immer mehr Tropfen auf dem heißen Stein
Die Stadtwerke im Ruhrgebiet leisten als lokale Treiber einen Beitrag zur Energiewende