Bilder beherrschen die Welt. Wie diese Pförtnerloge auf der Bühne – nach Kafka natürlich im Schnee. Ein Ort ohne Verortung mit Kreaturen, die sich Bewohner nennen. Man fühlt sich in den Bonner Kammerspielen eher in die surreale Zone von Andrej Tarkowski versetzt als in ein Fragment von Franz Kafka, dennoch: Nur das Bühnenbild hält tatsächlich, was die Inszenierung wohl zeigen wollte und die eigene Fassung von Mirja Biel und Johanna Vater. Auch die untermalende Hintergrundmusik scheint eher das historisch Filmische zu stützen, waren das nicht Sequenzen aus „Forbidden Planet“ (USA, 1956)? Möglich, aber eigentlich auch nicht wichtig. Wofür braucht man Freunde? Eine Frage, die sich K. bestimmt seit seiner Ankunft im Dorf der Verdammten gestellt hat. Schließlich hat man ihn ja von einem Schloss aus als Landvermesser beauftragt, schließlich hat er sein Zeug dabei, aber noch keine Bleibe. HausregisseurinMirja Biel inszeniert am Theater Bonn ihre Version von Franz Kafkas Romanfragment „Das Schloss“. Die Dramatisierung entweicht ins Surreale. Die Handlung fast zur Nebensache: „Dreh dich nicht um, der Plumpsack, der geht um.“
Die Pförtnerloge im Nirgendwo entpuppt sich als Herberge, Kneipe, Büro, die Bungalows im Hintergrund eher als Durchgangspforten. Sunshine Reggae. Sommermusik im Winter, das gibt ein wohliges Gefühl beim Wälzen im Schnee, mehr aber auch nicht. K. muss an seine Auftraggeber im Schloss ran, im Dorf wird er isoliert. Das Schloss entpuppt sich als Allmacht, gegen die niemand ankommt, obwohl viele damit kooperieren. K. wird vom Dorf aufgesogen. Seine Sisyphus-Attacken laufen ins Leere. „Wer sich umdreht oder lacht, kriegt den Buckel schwarz gemacht.“ Oder der Bär erscheint. Immer noch leuchtet die Richtung zum Schloss in zartem Bleu: „West West“, dort soll es nach Franz Kafka liegen, das Schloss des Grafen, der Sehnsuchtsort, die Befreiung allen Irdischen und was auch immer.Mirja Biel erliegt in der Inszenierung der Versuchung, die Traumlandschaft zu dehnen, es interagiert die Dorfbevölkerung mit dem Raum, mit und im Autoschrott, mit und in Kirchturmspitzen, mit und ohne den Fremdling, der die Ordnung stört. Selbst schizophrene Gehilfen können da nicht mehr helfen.Pause mitten in der schier endlos gedehnten Zeit. Das Intermezzo zwischen der Wirtin, dem Lehrer, Barnabas, dem Wirt, der Frieda und all den fiktiven Personen ohne Gestalt muss noch weitergehen. Sisyphus muss den Schneeball weiterrollen. „In the Summertime“ von Mungo Jerry tönt leise. Nein – es liegt immer noch Schnee. Aus der Schule tauchen die Kinder auf. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht das fünfte vor der Tür. K. ist inzwischen Schuldiener, hat den Herrenhof gerockt, in dem die Herren des Schlosses manchmal übernachten, mal arbeiten oder sich Geliebte halten. K.’s strategische Geliebte Frieda hat ihn gerade wieder verlassen und will wieder im Herrenhof arbeiten, die Situation bleibt vertrackt, die Handlung stagniert. Das Problem: Ein von Autor Kafka selbst verfasster Schluss existiert nicht, atmosphärisch gelangt die Handlung an einen paradoxen Abgrund, die Regieanweisungen wohl auch, das Ensemble schlug sich wacker ohne Ausnahme.
„Das Schloss“ | R: Mirja Biel | Do 7.7., Sa 9.7. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bonn | 0228 77 80 08
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wohin die Assoziationen führen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn
Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24
Mörderische Gesellschaftsstruktur
Georg Büchners „Woyzeck“ am Bonner Schauspiel – Auftritt 01/24
Der unfassbare Gott
Oper Bonn zeigt Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – Oper in NRW 12/23
„Ein interdisziplinäres großes Theaterhaus für die Stadt“
Die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki übernimmt die Leitung der Studiobühne – Premiere 11/23
Nicht gerade familientauglich
„Frankenstein Junior“ an der Oper Bonn – Musical in NRW 10/23
Fluch der tragischen Rache
„Rigoletto“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 10/23
Doktrin des American Dreams
„Von Mäusen und Menschen“ am Theater Bonn – Prolog 08/23
Kampf durch Klang
„Der singende Teufel“ ungekürzt an der Oper Bonn – Oper in NRW 05/23
Zäh fließt er dahin, der Rhein
Theater Bonn: „blut wie fluss“ – Theater am Rhein 04/23
Die Reste unserer Existenz
„blut wie fluss“ am Theater Bonn – Prolog 03/23
Im Labor der Altbauwohnung
„Der Haken“ am Theater Bonn – Prolog 01/23
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Emotionale Abivalenz
„Sohn meines Vaters“ in Köln – Theater am Rhein 01/24
Übung in Demokratie
„Fulldemo.cracy“ am Studio Trafique – Theater am Rhein 01/24
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23