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Katja Nowacki
Foto: Fachhochschule Dortmund

„Väterforscher sind noch Ausnahmen“

30. Mai 2018

Sozialpsychologin Katja Nowacki über Väter und Vaterfiguren

choices: Frau Nowacki, was sagt die Psychologie zur Rolle des Vaters?
Katja Nowacki: Zum Thema Vater ist aus psychologischer Sicht noch gar nicht so viel geforscht worden, Ausnahmen sind natürlich unter anderem der Väterforscher Michael Lamb von der University of Cambridge um ein Beispiel zu nennen, inzwischen wurde aber unter anderem das Central European Network on Fatherhood zu diesem Zweck in Wien ins Leben gerufen. Wenn man das auch aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive sieht, dann ist bei dieser Frage auch entscheidend, welche Gesellschaftsform den Hintergrund bildet, welche Aufgaben Mütter und Väter traditionell dort haben. In der Zeit der industriellen Revolution hat sich bei uns das Bild der Kleinfamilie herausgebildet, in der der Mann den Lebensunterhalt verdient und die Frau die Kinder versorgt – eben das traditionelle Familienbild von Vater, Mutter, Kind. Heute gibt es auch das Bild der Patchwork-Familie, in der etwa ein Stiefvater mit zum Tragen kommt, oder auch weitere Verwandte wie Großeltern. Wenn man sich also die Rollenverteilung ansieht, dann ist die Mutter mehr für die Bereiche Versorgung und Bindungsaufbau zuständig, während der Vater eher mit dem Kind seine Umwelt erkundet und dafür zuständig ist, es in die Außenwelt einzuführen.

Benötigen Kinder von beiden Elternteilen gleich viel Aufmerksamkeit? Oder ist die Mutter wichtiger?
Ich würde das nicht vom biologischen Geschlecht abhängig machen, da kommt es sehr stark auf die einzelne Person an – wie viel Feinfühligkeit die Mutter, oder auch der Vater, mitbringen. Entscheidend ist einfach, wer dem Kind welche Angebote im Sinne von Zuwendung, Förderung und positiver Beziehungsgestaltung macht. Dies wird zum Beispiel in gleichgeschlechtlichen Elternpaaren sehr deutlich, wie eine Forscherin, Susan Golombok der Universität Cambridge herausgefunden hat. Hier übernimmt zum Beispiel der eine Vater stärker die Zuwendungsrolle und der andere stärker die Anregungs- und Explorationsrolle. Ein wichtiger Hinweis: die Kinder zeigen keinerlei Nachteile in der Entwicklung. Es gibt natürlich die stereotypischen Rollen und da wird der Mutter eine etwas höhere Bedeutung eingeräumt – also, ein etwaiger Verlust der Mutter wird vom Umfeld als schwerwiegender wahrgenommen, als der des Vaters.

Was macht einen guten Vater aus?
Ich würde sagen, einer der dem Kind gute Anregungen gibt, es unterstützt und auf der anderen Seite seine Selbstwirksamkeit und seinen Selbstwert fördert, das Kind nicht abwertet, sondern eine warme Beziehung anbietet. Das sind wichtige Punkte, die die Vaterrolle ausmachen.

Manche Betroffene lernen ihren Vater nie kennen oder verlieren ihn durch Trennung oder Todesfall. Macht das „Wie“ und der Zeitpunkt des Verlustes einen Unterschied aus?
Da gibt es noch nicht so viele Untersuchungen, aber natürlich, wenn der Vater in jungen Jahren eine hohe Bedeutung hatte und dann fehlt, ist das sicher ein massiver Verlust. Kinder hingegen, die ihren Vater nie kennenlernen, sind in Regel schon neugierig darauf, wer dieser war – sie müssen aus meiner Sicht aber kein schlechteres Leben führen. Es kommt sehr darauf an, welche anderen Personen es in der Familien-Konstellation noch gibt, die das kompensieren können. Ich würde es nicht an der biologischen Person des Vaters festmachen wollen.

Und wenn diese Kompensation ausbleibt?
Wenn diese gesellschaftlichen Aufgaben des Vaters, wie die Umwelterkundung, das Nach-außen-Tragen, nun einfach wegfällt, ohne das andere das übernehmen, dann fehlt natürlich etwas. Diese Kinder tragen Fragen mit sich herum, wie „Warum ist das bei mir so?“. Wichtig ist auch, ob über den Vater, dessen Abwesenheit ja verschiedenste Gründe haben kann, im Umfeld des Kindes noch wertschätzend gesprochen wird, oder nicht. Wie gesagt, das Umfeld ist entscheidend – auch alleinerziehende Eltern sind in den seltensten Fällen wirklich allein, sondern haben ein Netzwerk von Verwandten, Freunden und Bekannten.

Suchen Betroffene aktiv nach männlichen Vorbildern, wenn diese fehlen?
Natürlich, es gibt ja durchaus eine ganze Menge an sichtbaren Männerbildern im jeweiligen Umfeld, oder auch der Gesellschaft, die sich zur Identifikation anbieten – und wenn es der Fußballspieler oder der Popstar ist. Wenn es um frühkindliche Entwicklung geht, dann steht hier allerdings der hohe Anteil an weiblichen Betreuern in den Erziehungsberufen dem ein wenig im Weg. Auch unter dem Aspekt wäre es gut, mehr Männer in diese Berufe zu bringen, um verfestige Rollenbilder aufzubrechen und den Jungen nahe zu bringen, dass auch Männer diese Rollen einnehmen können.

Kann ein Stiefvater die Funktion des leiblichen Vaters komplett übernehmen?
In der Evolutionspsychologie gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Männer weniger investieren, wenn es nicht der eigene Nachwuchs ist, und die Qualität ihrer Fürsorge nicht ganz so hoch ist. Hier würde ich allerdings ergänzen wollen, dass es auch die Fälle gibt, wo Stiefväter die Kinder adoptieren und zu einem Teil der Familie werden. Das hängt sehr stark von der Qualität der Beziehung zwischen Mutter und neuem Partner ab. Je besser und gefestigter diese ist, desto mehr wird sich der Mann auch um die Kinder bemühen. Das bedingt sich ein wenig selbst, denn würde er sich nicht kümmern, würde auch die Beziehung zur Mutter darunter leiden.

Manche vertreten die Ansicht, die Beziehung zu den leiblichen Eltern bleibe immer die bessere.
Ja, diese Personen werden sie finden, aber ich denke das nicht. Es ist ja zum Glück nicht so, sonst wäre die Entwicklung von Kindern, deren Eltern aus diesem oder jenem Grund nicht zur Verfügung stehen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es wäre tragisch, wenn die biologische Mutter als einzige Instanz für eine gesunde Entwicklung sorgen könnte. Denn, dass die leiblichen Eltern ihre Kinder lieben und es gut versorgen können, ist zwar in den meisten Fällen so, aber eben nicht selbstverständlich. Es kommt sehr stark auf den individuellen Umgang mit dem Kind und die spezifische Lebenssituation der Familie an.

Können außerfamiliäre männliche Vorbilder, etwa Erzieher, den Mangel kompensieren?
Ja, wie schon gesagt, das wäre aus ganz unterschiedlichen Perspektiven sehr positiv – eben nicht nur für Jungen, sondern genauso auch für Mädchen, etwa für eine Entwicklung von egalitäreren Rollenvorbildern.

Wie wirkt sich eine steigende Anzahl an vaterlos Aufgewachsenen gesellschaftlich aus?
Das würde ich nicht überbewerten wollen. Väter sind sehr präsent, wir haben immer noch einen sehr hohen Anteil an traditionellen Kleinfamilien, das ist nach wie vor die am weitesten verbreitete Familienform. Es würde allerdings nicht schaden, wenn man den Fokus ein wenig auf die Väter schiebt und deutlicher macht, dass der Vater eine eigene, genuine Bedeutung hat und eine wichtige Rolle für seine Kinder einnimmt. Sich um den Nachwuchs zu kümmern, das sollte viel stärker als bisher als ein zentraler Teil des Mann-Seins begriffen werden. Das fängt im Grunde bei jedem Einzelnen an.

Wie kann die Politik so eine Entwicklung unterstützen?
Da sage ich mal ganz platt, die Elternzeit ist ein Instrument, das als Stellschraube dienen könnte. Da könnte man politisch noch etwas gestaltender eingreifen, etwa indem man Paaren, bei denen beide Partner die Elternzeit wahrnehmen, mehr Zeit zugesteht. Wichtig ist dabei natürlich auch, wie Arbeitgeber damit umgehen. Es sollte viel selbstverständlicher sein, dass auch die jungen Männer mal für ein Jahr weg sind, um sich um die Kinder zu kümmern. Dann erleben auch schon kleine Kinder ihre Väter viel intensiver. Dafür wäre es aber wahrscheinlich schon nötig, dass politische Anreize geschaffen werden.


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Interview: Christopher Dröge

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