Nicht nur wenn sie aufwachsen, haben es Kinder alleinerziehender Eltern schwer. Langzeitstudien belegen, dass eine Kindheit mit nur einem Elternteil ein Leben lang nachwirkt. Forscher warnen besonders vor der verbreiteten Vaterlosigkeit. Sie kann sich nicht nur negativ auf den Betroffenen auswirken. Auch die Konsequenzen für Gesellschaft und Gesundheitssystem können gravierend sein. Der Düsseldorfer Psychologe Matthias Franz spricht gar von einem „stillen Drama ungeheuren Ausmaßes“.
Besonders Jungen fällt es schwer, mit einem weiblich dominierten sozialen Umfeld zurechtzukommen. „Die Abwesenheit des Vaters scheint lebenslang zu wirken“, sagt auch Elmar Brähler, der für die Uni Leipzig die Auswirkungen von Vaterlosigkeit untersucht hat. Gemeinsam mit Kollegen hat Brähler 675 Kriegskinder nach Kindheit und Ergehen befragt. Die Teilnehmer an der Studie waren Frauen und Männer, die zwischen 1930 und 1945 geboren sind. Ihre Väter waren im Zweiten Weltkrieg gefallen oder in Kriegsgefangenschaft geraten. Auch noch mit 60 oder 70 Jahren litten die Studienteilnehmer an Beschwerden. Obwohl auch eine Vergleichsgruppe in der Kindheit Hunger und Bombenkrieg erlebt hatte, fühlten sich die vaterlos Aufgewachsenen öfter müde und erschöpft, waren misstrauischer und ängstlicher im Umgang mit anderen und waren häufiger schlechter Stimmung.
Matthias Franz kommt mit einer Untersuchung zu einem ähnlichen Ergebnis: Menschen, die wegen des Krieges innerhalb der ersten sechs Lebensjahre sechs Monate oder länger auf den Vater verzichten mussten, litten doppelt so häufig an Depressionen und psychosomatischen Erkrankungen wie jene, die zwar auch Kriegsleid erlebt hatten, aber in intakten Familie aufgewachsen waren. Trotzdem kann kriegsbedingte Vaterlosigkeit nicht völlig mit derjenigen gleichgesetzt werden, die viele Kinder heute erleben. Überhaupt ist Vorsicht geboten mit Aussagen der Art, dass Kinder bei Alleinerziehenden prinzipiell geschädigt würden. Eine notwendige Verknüpfung von Vaterlosigkeit und späterem Leid gibt es nicht.
Aber es gibt Parallelen zwischen den Auswirkungen des Krieges und der aktuellen gesellschaftlichen Situation. Die heutige Katastrophe ist nur weniger sichtbar. Auch wenn eine schwedische Studie über die konkreten Auswirkungen des „stillen Dramas“ aus dem Jahr 2003 alles andere als taufrisch ist, verdeutlicht sie doch, wie gefährlich es sein kann, so aufzuwachsen. Acht Jahre lang begleiteten die Forscher des Zentrums für Epidemiologie in Stockholm mehr als 65000 Kinder alleinerziehender Eltern. Das Ergebnis ist alarmierend: Das Risiko, die Jugend nicht zu überleben, lag bei Jungen aus Ein-Eltern-Familien um die Hälfte höher als bei Kindern aus intakten Familien. Zudem tragen Jungen ein fünfmal höheres Risiko, an einer Suchtkrankheit zu sterben. Viermal so viele wie in der Vergleichsgruppe kamen durch Gewalt, Stürze oder Vergiftungen um. Vater- oder mutterlose Mädchen kamen insgesamt nicht häufiger um, wurden aber doppelt so häufig Opfer von Gewalttaten oder begingen Selbstmord. Todesfälle aufgrund von Alkohol- oder Drogenmissbrauch waren bei ihnen dreimal so häufig.
In Deutschland wachsen über zwei Millionen Kinder bei nur einem Elternteil auf – laut dem Statistischen Bundesamt in rund neun von zehn Fällen bei der Mutter. Kinder können so leicht zehn oder elf Jahre alt werden, bevor sie das erste Mal Kontakt mit einer männlichen Bezugsperson haben. Denn im Kindergarten und der Grundschule treffen die Kinder weitestgehend auf Erzieherinnen und Lehrerinnen. Das kann wiederum zu hypermaskulinen Verhaltensweisen führen, denn manche Jungs sehen sich von Weiblichkeit umzingelt. Die Unterhaltungsindustrie scheint sich besonders auf die vaterlose Jungs eingeschossen zu haben. Zahllose Filme und Computerspiele laufen nach demselben Muster ab: Starke Männer lernen kleine Jungs an. Medien wimmeln von idealisierten Ersatz-Papas.
Die Skandinavier haben aus ihrer Studie übrigens Konsequenzen gezogen. Berufe wie Erzieher und Grundschullehrer wurden finanziell und vom Image her attraktiver gemacht. Und auch in Deutschland sollte die Politik schnellstens Maßnahmen ergreifen. Denn Delinquenz und Gesundheitskosten haben auch eine volkswirtschaftliche Dimension.
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balu-und-du.de | Das Mentoring-Programm fördert junge Menschen, indem es ihnen ehrenamtliche Paten zur Seite stellt – wodurch z.B. vaterlose Kinder Kontakt zu männlichen Bezugspersonen erhalten.
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