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„Es fängt bei der Treue zu sich selbst an“

29. Juni 2017

Psychologin Lisa Fischbach über das Anspruchsdenken in der Liebe – Thema 07/17 Neue Zärtlichkeit

choices: Frau Fischbach, der Titel Ihres Buchs „Treue ist auch keine Lösung“ spaltet. Wer liebt, darf nicht festhalten?
Lisa Fischbach: Es geht in unserem Buch um falsch verstandene Treue. Mein Kollege und ich wollten damit aufräumen, Liebe zu verwechseln mit besitzen, sichern und einengen. Man kann auch keinen Gebirgsbach in Flaschen füllen. Manche Menschen versuchen, ihre Liebe zu sichern, indem sie Verbotsschilder aufstellen, in der Art „Das darfst du nicht.“ Wir glauben, es ist sinnvoller, Gebote zu formulieren. Unser schönstes Plädoyer: Liebe mich nach all’ deinen Möglichkeiten. Es geht in der Liebe um Vertrauen und Stabilität. Es wird immer so getan, als wäre Treue das Ideal. Aber wenn wir das Wort Untreue ersetzen mit dem Wort Sehnsucht, die Lust auf Anderes, auf mehr als einen Partner, auf mehr sexuelle Erfahrung, dann beginnt es, sich zu entstigmatisieren. Wenn wir alle Menschen, die fremdgehen, pathologisieren, kommen wir ja nicht weiter. Was mein Kollege und ich in unserem Buch aufdecken wollen, ist, warum wir ständig unreflektiert dieses Modell der Monogamie übernehmen, weil wir alle glauben, dass es so toll funktioniert. Das lässt doch die Frage offen, warum trotzdem jede 2. Ehe von Untreue betroffen ist.

Wäre eine offene Beziehung dann die Lösung? Ja oder nein?
Da sage ich ganz klar: weder noch. Es geht hierbei um ein Beziehungsmodell, das zu einem passt. Einige Menschen stellen für sich selbst fest, dass sie mit der wirklich monogamen Liebe Schwierigkeiten haben, zum Beispiel aufgrund einer starken Libido oder weil sie gerne experimentieren. Das kann dazu führen, dass sie diesen Teil von sich abspalten, unterdrücken und dadurch Verzicht erleben. Oder, dass sie ihr Verlangen in der Heimlichkeit ausleben und das immer wieder tun. Damit tun sie sich eigentlich nichts Gutes. Es ist so absurd, dass Menschen sich nicht einfach mal darüber unterhalten oder sich auch eingestehen, dass sie auch anders leben können.

Wofür plädieren sie?
Ich empfehle als Alternative zum Fremdgehen das Bekanntgehen. Nehmen wir an, ich bin mit jemandem 10 Jahre zusammen und merke, ich habe andere andere Lüste. Wenn ich das feststelle, dass ich mich verändere, dann ist der größte Liebesbeweis, aber auch der schwierigste, mit meinem Partner zu sprechen, zu sagen: „Hier passiert was in mir, das wird dich kränken, aber wir besprechen das jetzt.“ Es fängt bei der Treue zu sich selbst an. Die einfachere Variante ist, das Bedürfnis abzuspalten und fremdzugehen. Dabei holt man sich einen Teil von außen, ohne es mit dem Partner zu integrieren. Damit begeht man letztendlich Verrat an der Liebe.

Was ist das größte Problem in Beziehungen junger Menschen?
Ich glaube, junge Menschen erleben eine starke Ambivalenz zwischen zwei Bedürfnissen: dem Wunsch nach Bindung einerseits und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung andererseits. Bei der Selbstverwirklichung geht es um das ‚Ich’, sie ist immer auch gepaart mit Erlebnishunger. Auf der anderen Seite gibt es gleichermaßen diesen Wunsch nach dem ‚Wir’. Diese widersprüchlichen Bedürfnisse in jungen Jahren für sich zu integrieren, ist eine Herausforderung. Dann muss ich sagen, dass ich bei jungen Menschen das Verflachen beziehungs-erhaltender Werte erlebe. Das hat in Zeiten von Konsumorientierung und Optimierungswahn einen Einfluss auf die Beziehung, gerade, wenn wir von Menschen zwischen 20 und Anfang 30 sprechen. Denn diese Generation ist sehr stark auf Bedürfnisorientierung geprägt. Selbstverwirklichung, Erlebnisgier, der Anspruch auf Glück sind selbstverständlich. In diesem Selbstverständnis sind sie sozialisiert worden. Viele aus dieser Generation gehen so ins Leben und das macht vor der Liebe nicht halt. Deutlich wird das dadurch, dass Partnerschaften idealisiert werden. Es ist unattraktiv geworden, Durststrecken und Krisen auszuhalten. Ich erlebe diese Generation so, dass die Frustrationstoleranz – unlustbetonten Dingen gegenüber – gesunken ist.

Was hat das zur Folge?
Ich nenne das immer so salopp: Der Beziehungsumsatz pro Kopf steigt (lacht). Man muss sagen, dass Beziehungen in dieser Lebensphase instabiler werden. Vielleicht ist man mit jemandem zusammen, und dann stellt man fest, die Karriere treibt einen doch nach Südafrika oder irgendwo anders hin. Oder man möchte noch eine Weltreise machen, ins Ausland gehen. Die Lebensentwürfe sind für Beziehungen sehr herausfordernd und es gibt zunehmend Menschen, die sich für den Lebensentwurf entscheiden und nicht für die Partnerschaft.

Wie unterscheiden sich junge Paare von älteren, etwa in Punkto Treue?
Aufgrund einer geringeren Frustrationstoleranz und Kompromissbereitschaft sind junge Menschen schneller bereit, sich zu trennen. In Punkto Treue ist es so, dass drei von vier Frauen unter 30 ihren Partner wegen eines Seitensprungs verlassen würden*. Die jüngeren sind viel intoleranter und sensibler als langjährige Paare. Die Bereitschaft, sich bei einem einmaligen Seitensprung zu trennen, ist bei älteren Paaren viel geringer. Junge Menschen sind mehr von Idealvorstellungen geleitet und haben eine romantischere Einstellung zur Liebe. Das bedeutet auch, dass sie wechselbereiter sind, weil sie sagen: Ich bin auf der Suche nach dem großen Glück, und dann war es nicht der Richtige. Langjährige Paare haben viele Gemeinsamkeiten oder auch Beziehungskitt: Das fängt an beim gemeinsamen Konto bis zum gemeinsamen Haus, Auto, Kinder, Heirat. Man weiß, dass das Dinge sind, die bindend sind, auch, wenn sie nur konstituierend im Außen sind. Langzeitpaare blicken auf eine Geschichte zurück und das ist etwas, das einen bindet. Sie sind bereiter, an einer Beziehung festzuhalten und an einer Beziehung zu arbeiten als das junge Paare tun würden.

Steckt die Sehnsucht nach dem/der Richtigen in den Genen? 
Den passenden oder eher den Perfekten? Das ist eine wichtige Frage. Denn es würden nur Wenige den passenden Partner suchen, wenn der perfekte irgendwo auf sie wartet. Das ist gesellschaftlich geprägt, ein Kind unserer Zeit. Es hat etwas mit der konsumorientierten Leistungsgesellschaft zu tun. Uns wird suggeriert, man bekommt bei allem das Beste, wenn man nur sucht. Wenn wir uns allerdings fragen: „Was brauche ich wirklich in der Liebe, um glücklich zu sein? Brauche ich wirklich das Ideal?“, dann wären wir entspannter. Die Evolutionsbiologie ist sich einig, dass Werte wie Stabilität und Sicherheit bei Frauen in der Familiengründungsphase wichtiger werden. Das ist sicherlich genetisch vorbestimmt. Wenn man einen Kinderwunsch hat, dann sucht man sich in dieser Phase den Vater der Kinder. Ein Partner wird dann auf die entsprechenden Familienqualitäten abgeklopft. Das ist einfach so. Viele Frauen suchen dann den sogenannten Alpha-Softie.

Aber Alpha-Softie, das ist doch ein Widerspruch in sich?
Genau, das ist ein Widerspruch. Zum Einen soll der Partner einem der beste Freund sein, ein fürsorglicher Vater und gleichzeitig ein toller Liebhaber. Das Beste aus zwei Welten würden wir das nennen. Da muss ich als Psychologin sagen: „Das sind zwei Dinge, die sich nur sehr schwer in einer Person vereinbaren lassen.“ Das Eine braucht Spannung und Fremdheit, das Andere Intimität und Vertrauen. Es ist schwierig, beides nebeneinander aufrecht zu erhalten. In diesem Kontext ist das Anspruchsdenken extrem gewachsen. Es wäre ein Traum, wenn die Menschen so wären, dass sie sich nur das wünschen, was sie selbst in der Lage sind, zu geben. Dann kämen wir einen Riesenschritt weiter.

Wenn einer fremd geht, was bedeutet das für den Anderen?
Aus meiner Perspektive als Paarberaterin kann ich sagen: Das ist in der Regel eine Katastrophe. Ich möchte es mal so sagen: Das Unverzeihliche bei Untreue ist nicht die rein körperliche Ebene. Natürlich verletzt dieses einseitige Aufkündigen dieser wechselseitigen Exklusivität den Partner. Denn einer nimmt sich das Recht raus und verlässt die vereinbart geglaubte Monogamie. Vielmehr zerstörend sind allerdings der emotionale Betrug und die damit verbundenen Lügen bei einer Affäre. Sie zerstören das Verhalten nachhaltig und oft irreparabel.

Es gibt unterschiedliche Beziehungsformen. Welche Probleme sind hiermit verbunden?
Stellen Sie sich vor, auf einer Party würde eine Frau sagen: „Mein Mann und ich leben polyamor. Ich bin mit einer Frau zusammen, um meine bisexuelle Seite zu leben, und mein Mann hat zwei jüngere Frauen.“ Dann steht sie da, alle gucken sie mit offenem Mund an und sagen: „Ist ja Wahnsinn“, drehen sich um und tuscheln: „Mag ja gut klingen, klappt aber bestimmt nicht auf Dauer.“ Viele Menschen sind irritiert. Wir haben wenig Berührungspunkte mit anderen Formen zu lieben. Diese Menschen sind teils gesellschaftlich ausgegrenzt. Ich habe in meiner Praxis ein paar Paare, die alternativ leben, aber die gehen in eine eigene Community, zu Leuten, die das verstehen. Andere schweigen darüber oder isolieren sich.

Was müsste sich gesellschaftlich tun, damit unterschiedliche Beziehungstypen akzeptiert werden?
Mein größter Wunsch wäre es, dass wir in unseren Beziehungen Verantwortung für uns selbst übernehmen. Aber für gesellschaftliche Akzeptanz braucht es einen toleranten Rahmen. Vor ein paar Tagen war Tag der Diversity. Meiner Meinung nach müsste es dann eine Demo durch ganz Deutschland geben, die sich in Berlin per Sternenzug trifft und vor Frau Merkel sagt: „Leute, man kann auch anders lieben und das ist auch gut so.“ Solange wir Frau Merkel an der Spitze haben, die die gleichberechtigte Ehe unter Homosexuellen nicht zulässt, wie soll dann wirklich Toleranz entstehen?

* Im Rahmen einer Studie aus 2017 hat elitepartner.de 2.957 Personen, Singles und in Partnerschaft, in Deutschland zu dem Thema befragt.


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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

polyamory.de | Das Polyamore Netzwerk (PAN) unterstützt Menschen, die in einvernehmlichen und verantwortungsvollen Liebesbeziehungen zu mehreren Menschen leben oder dies anstreben.
ehefueralle.de | Bundesweite Initiative die sich für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland einsetzt.
pairfam.de | DFG-geförderte Langzeitstudie zum partnerschaftlichen und familialen Leben in Deutschland

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