Sollte in diesem Arthouse-affinen Magazin wirklich über die Oscars referiert werden? Wochen, nachdem in der Presse alles schon gesagt wurde? Von einem Autor, der sich die Veranstaltung gar nicht angeschaut hat (Herr Ernst war verhindert, er wollte schlafen). Aber klar referieren wir. Also: Wer ist dieser Oscar überhaupt? Eigentlich heißt der Junge „Academy Award of Merit“. Laut Wikipedia hat eine Leiterin der Akademie aber mal behauptet, die Trophäe erinnere sie an Oscar, ihren Onkel, der eigentlich ihr Cousin zweiten Grades war. Aha. Jedenfalls heißt er nun seit Mitte der 1930er Jahre offiziell inoffiziell Oscar und hat schon viele glücklich gemacht. Aber das tun Preise nun mal. Was den Oscar indes von Palme, Bär, Löwe oder Leopard unterscheidet ist, dass es sich beim Oscar nicht um einen Festival-Preis handelt. Was auf Filmfestivals von Berlin bis Cannes zehn Tage lang über rote Teppiche stolziert, ballt sich hier an einem Abend. Bei den Oscars kommen die Filme lange vor der Preisverleihung ins Kino, bei den Festivals danach. Denn: In der Oscar-Nacht werden lediglich Beteiligte und (Ge-)Werke aus dem zurückliegenden Filmjahr gekürt. Der Oscar: Eine reine Preisverleihung, die das Finale regulärer Filmfestivals als singuläres Event abfeiert. Show halt.
Aber was soll man sich davor auch aufhalten mit Panoramen, Debatten oder – was für ein Mumpitz – mit Filmegucken? Stattdessen: drei Stunden Auf- und Abgehopse über die Bühne. Publikumsfördernd gießt man die Verheizung, Verzeihung: Verleihung in ein dreistündiges Glamour-Spektakel. Natürlich ist das alles ehrenwert, weil es kreative Menschen ehrt. Und ja, auch auf Festivals kommt es zu Eklats und Skandalen. Beim Oscar aber ist man hellhöriger – man hat ja nur drei Stunden!
So gar nicht skandalös, sondern vielmehr besonnen, äußerte sich allerdings Jonathan Glazer, der mit „Zone of Interest“ den Oscar für den besten internationalen Film gewann und sich, so einfach kann es sein, mal ungewohnt reflektiert zum Konflikt in Israel und Gaza äußerte: Glazer verlor schlichtweg ein paar grundsätzliche Worte wider die Entmenschlichung und fragte: „Seien es die Opfer vom 7. Oktober in Israel oder die anhaltenden Angriffe in Gaza – all die Opfer dieser Entmenschlichung, wie leisten wir Widerstand?“ Es geht doch, Berlin! Ungleich schräger gab sich Moderator Jimmy ‚Weird‘ Kimmel: „Sandra [Hüller] verkörpert eine Frau, die in ,Anatomie eines Falls‘ für den Mord an ihrem Mann vor Gericht steht, und eine Nazi-Hausfrau in Nachbarschaft zu Auschwitz in ,Zone of Interest‘. Während das alles für amerikanische Kinobesucher heftige Inhalte darstellt, betrachtet man sie in Sandras Heimat Deutschland als Romantische Komödien.“ Die Presse attestierte Sandra Hüller ein gequältes Lächeln. Aber, hey: Immerhin unterstellt der US-Talkshow-Moderator den Deutschen auf internationaler Bühne Humor! Wenn das keine Auszeichnung ist. Damit haben wir Landsleute auch bei dieser Preisverleihung gewonnen. Ganz ohne Oscar.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
Sternenkriege und Weißer Terror
Volles Sommerkinoprogramm – Vorspann 06/24
Ernster Mai
Der Frühling schwemmt viele Dokumentarfilme ins Kino – Vorspann 05/24
Schöne Aussichten im Kino
Der Festivalauftakt in Berlin verspricht ein gutes Filmjahr – Vorspann 03/24
Krieg auf der Leinwand
Wenn Film über die Front erzählt – Vorspann 02/24
Neue Wege gehen
Starke Persönlichkeiten im Kino – Vorspann 01/24
Filmpolitik im Umbruch
Hoffnung auf Neuregelung und Sorge vor Sparzwang – Vorspann 12/23
Populistische Projektionsfläche
Über zwei befremdliche Filmpräsentationen – Vorspann 11/23
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24