choices: Frau Constabel, der aktuellen Entwurf des Prostitutionsgesetzes will Prostitution über den Gewerbeschein transparenter machen. Teilen Sie diese Hoffnung?
Sabine Constabel: Ich teile diese Hoffnung nicht, weil zumindest in der letzten Gesetzesinitiative ein Vorschlag drin war, dass nur die großen Häuser aufgenommen werden und private Wohnungen ausgenommen sind. Aber Prostitution findet überwiegend in Privatwohnungen statt. Man kann sich also ausrechnen, dass nach der Gesetzesreform z.B. Menschenhändler ihre Frauen nur in die privaten Wohnungen schicken. Gleichzeitig unterscheidet man so in gute und schlechte Bordelle. Da wird ein Signal gesendet an die Freier, dass die guten Bordelle okay sind. Damit wird Prostitution weiter verharmlost. Einer 18-Jährigen ist egal, ob der Puffbetreiber eine Konzession hat oder nicht.
Wie ist denn die Lebenslage der Frauen, mit den sie zu tun haben?
Die Armutsprostituierten machen das große Feld der Prostitution aus. Das sind junge Frauen, zumeist ohne Vorerfahrungen, die aus den osteuropäischen, neuen EU-Ländern hier her geschickt werden. Diese machen über 80% der Prostituierten aus und sie haben sich nicht entschieden, Prostituierte zu werden, sondern die Familie hat entschieden, dass sie Geld brauchen. Die einfachste Möglichkeit ist, jemanden nach Deutschland zu schicken. Viele sind Analphabetinnen, kommen aus Roma-Verbänden oder von den türkischen Minderheiten – beides sind ausgegrenzte Gruppen im Herkunftsland. Sie sind völlig orientierungslos.
In der Öffentlichkeit dominiert aber das Bild der sehr dominanten, professionellen Althure. Wie akkurat ist das?
Das ist dann eine von den 20% und da ist es die absolute Randgruppe. Die meisten Prostituierten sagen, wenn mein Mann oder mein Bruder wieder Arbeit hat, dann höre ich auf. Die haben kein professionelles Berufsverständnis und wissen teils auch nur wenig über Sexualität. Das macht es schwer, sich gegen die Freier und ihre Wünsche zu wehren. Was die Frauen erzählen, was die Freier mit ihnen machen wollen, das ist jenseits ihrer Vorstellungskraft. Das wussten die gar nicht, dass es sowas gibt. Die Frauen erleben die erste Zeit in der Prostitution als extrem traumatisierend, sie entwickeln auch keine Strategien für den Umgang mit den Freiern, z.B. Gleitgel zu benutzen oder auf Kondome zu bestehen. Wir haben dort ein hohes Infektionsrisiko. Gleichzeitig können diese Frauen zwar hier arbeiten, kommen aber nicht in die deutschen Sozialsysteme, sie können weder ein Jobcenter aufsuchen, noch eine Therapie in Anspruch nehmen.
In der öffentlichen Diskussion wird im Moment immer wieder der Begriff der „Sexarbeit“ gebraucht. Damit soll angedeutet werden, dass es sich bei Prostitution um Arbeit handelt, bei der bestimmte Rechte eingefordert werden können.
Was denken Sie, nützt das einer 18-jährigen Bulgarin? Viele sagen, Prostitution ist Gewalt, nicht nur Osteuropäerinnen. Auch viele der Profis erleben das genau so. Von denen habe ich Sprüche gehört wie „Der Schwanz berührt die Seele.“ Viele haben ja Vorerfahrungen, die da entscheidend waren. Die sagen: „Ich mach das, aber meine Tochter soll es bitte nicht machen.“ Prostitution ist eben keine Erwerbsarbeit wie jede andere auch.
Welche politischen Initiativen helfen denn diesen Frauen konkret?
Mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 haben wir den liberalsten Markt für die Erotikindustrie geschaffen, den es gibt. Die Strategie kann nur sein, diesen Markt wieder zu schließen. Das schwedische Modell, nach dem der Kauf von Frauen verboten ist, sollte da ein Vorbild sein. Das sollten wir uns als Gesellschaft, die auf die Gleichberechtigung der Geschlechter setzt, wert sein. In Schweden ist die Selbstverständlichkeit, mit der Männer Frauen zur sexuellen Benutzung kaufen können, verschwunden. Das ist ein ganz großer Gewinn, auch für die Männer und die Jungs, die jetzt 18 sind, und damit aufgewachsen sind, dass man für 20 Euro sich eine Frau zum Vögeln kaufen kann. Und das ist nichts, was Jungs gut tut. Ich wünsche schon jungen Männern, dass sie sexuelle Erfahrungen machen, aber auch dass sie Sexualität anders kennenlernen als mit Prostitution.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Zu Diensten
Prostitution in Köln ist vielfältig – THEMA 11/13 KAUFLUST
Geld stinkt nicht
Sex-Steuer, Matratzenmaut und andere Kulturabgaben – Thema 11/13 Kauflust
Ich, Menschenfeind
Intro – Mehrheiten und Wahrheiten
Hakenkreuze auf dem Schulklo
Teil 1: Leitartikel – Wo Politik versagt, haben Rechtsextremisten leichtes Spiel
„Man hat die demokratischen Jugendlichen nicht beachtet“
Teil 1: Interview – Rechtsextremismus-Experte Michael Nattke über die Radikalisierung von Jugendlichen
Zwischen Krawall und Karneval
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Bereich Gegenwart im Kölner NS-Dok klärt über Rechtsextremismus auf
Die Unfähigkeit der Mitte
Teil 2: Leitartikel – Der Streit ums AfD-Verbot und die Unaufrichtigkeit des politischen Zentrums
„Die Chancen eines Verbotsverfahren sind relativ gut“
Teil 2: Interview – Rechtsextremismus-Forscher Rolf Frankenberger über ein mögliches Verbot der AfD
Antifaschismus für alle
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Bochumer Antifa-Treff
Faschismus ist nicht normal
Teil 3: Leitartikel – Der Rechtsruck in Politik und Gesellschaft – und was dagegen zu tun ist
„Radikalisierung beginnt mit Ungerechtigkeitsgefühlen“
Teil 3: Interview – Sozialpsychologe Andreas Zick über den Rechtsruck der gesellschaftlichen Mitte
Nicht mit uns!
Teil 3: Lokale Initiativen – Das zivilgesellschaftliche Netzwerk Wuppertal stellt sich quer
Stoppzeichen für Rassismus
Die Bewegung SOS Racisme – Europa-Vorbild: Frankreich
Wenn dir das reicht
Demokraten und Antidemokraten in der Demokratie – Glosse
Kampf um Kalorien
Intro – Den Bach runter
Keine Frage der Technik
Teil 1: Leitartikel – Eingriffe ins Klimasystem werden die Erderwärmung nicht aufhalten
„Klimakrisen sind nicht wegzureden“
Teil 1: Interview – Der Ökonom Patrick Velte über die Rückabwicklung von Nachhaltigkeitsregulierungen
Von Autos befreit
Teil 1: Lokale Initiativen – Einst belächelt, heute Vorbild: Die Siedlung Stellwerk 60 in Köln
Der Ast, auf dem wir sitzen
Teil 2: Leitartikel – Naturschutz geht alle an – interessiert aber immer weniger
„Extrem wichtig, Druck auf die Politik auszuüben“
Teil 2: Interview – NABU-Biodiversitätsexperte Johann Rathke über Natur- und Klimaschutz
Unter Fledermäusen
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Arbeitskreis Umweltschutz Bochum
Nach dem Beton
Teil 3: Leitartikel – Warum wir bald in Seegräsern und Pilzen wohnen könnten
„Städte wie vor dem Zweiten Weltkrieg“
Teil 3: Interview – Stadtforscher Constantin Alexander über die Gestaltung von Wohngebieten
Für eine gerechte Energiewende
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Wuppertaler Forschungsprojekt SInBa
Vielfalt in den Feldern
Belohnungen für mehr Biodiversität in der Landwirtschaft – Europa-Vorbild: Österreich