Eines hat beim Kürlauf des kommenden Schauspielintendanten diesmal offensichtlich geklappt: die Vertraulichkeit im Vorfeld, um unterlegene Kandidaten des „Schattenkabinetts“ nicht zu beschädigen. Niemand schien auf der Pressekonferenz etwas geahnt zu haben; erst im letzten Moment kam das Namensschild auf den Tisch, an dem neben Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach und Rolf Bolwin, ehemaliger Chef des Deutschen Bühnenvereins, vorgestellt von Pressechef Alexander Vogel, Platz genommen hatten. Dr. Carl Philip von Maldeghem, noch Intendant des Landestheaters Salzburg – hatte den jemand auf dem Schirm gehabt? Bescheiden, fast schüchtern stand der 50-Jährige da und ließ geduldig die Lobpreisungen seiner zukünftigen Vorgesetzen über sich ergehen: In einem monatelangen Findungsprozess habe man sich auf ihn geeinigt, der lange Intendantenerfahrung an der Schauspielbühne Stuttgart (nicht dem Staatstheater) hätte und der Salzburger Bühne ein erhebliches Plus an Zuschauern beschert habe. Er tritt die Intendanz in Köln 2021 an.
War das etwa ein ausschlaggebendes Argument für die finanziell klamme Stadt? Die bissige Frage einer Journalistin (die ihn vermutlich schnell gegoogelt hatte), ob er fürderhin nur noch Provinztheater in Köln anstrebe, zog heftigen Protest der Dezernentin nach sich. Reker dazu: „Mich hat seine frische und unkonventionelle Vorstellung überzeugt.“ Maldeghem, der in Salzburg seit 9 Jahren mit Oper, Schauspiel, Tanz und Jugendtheater ein Vielspartenhaus leitet, will in Köln modernes, lebendiges und nicht hierarchiebetontes Theater machen. Er habe sich nicht in einer Ausschreibung beworben, sondern Köln sei auf ihn zugekommen, wie er den Salzburger Nachrichten verriet. Köln sei „eines der profiliertesten Sprechtheater in Deutschland“ und von „ausgewiesenen Regiepersönlichkeiten geleitet worden“.
Stefan Bachmann, der aus einer Industriehalle binnen kürzester Zeit ein akzeptiertes Theater gezaubert hatte, war wegen der enormen Verzögerung bei der Erneuerung des Schauspielhauses bei der Stadt um vorzeitiges Vertragsende vorstellig geworden – ihm waren zwei Spielzeiten im neuen Haus zugesichert worden, also fast eine Lebensstellung. Und Karin Baier war einem ehrenvollen Ruf nach Hamburg gefolgt.
Er habe „zu jung hier angefangen, um hier aufzuhören“, sagte Maldeghem den „Salzburger Nachrichten“; das Team sei schon sehr stolz über seine Berufung nach Köln; man sei ihm keinesfalls böse, sondern freue sich mit ihm über den Karrieresprung, mit dem man immer gerechnet habe. Köln bekomme mit ihm, so Maldeghem, einen „jungen und erfahrenen Intendanten“, der Theater „in die Stadt hineinkommunizieren möchte“. Auf der Pressekonferenz sprach er von „leichtem Gepäck“ ohne einen Tross an Salzburger Mimen oder Regisseuren und der „Vorfreude auf Köln“. Er habe einige Inszenierungen gesehen und sehr großes Interesse am Kölner Ensemble.
Zu seiner Vita berichtete der Vater von drei halbwüchsigen Kindern, auf einem humanistischen Gymnasium bereits eine Schauspieltruppe installiert zu haben. Sein Jurastudium schloss er mit einer Promotion ab, danach folgte er seinen künstlerischen Intentionen und studierte Schauspiel und Regie in New York und Cambridge, um dann in Salzburg dem großen Mortier und Peter Stein zuzuarbeiten. Über Karlsruhe und Stuttgart sei es dann nach Salzburg gegangen. Bescheiden sprach er von sich als Regisseur aus der zweiten Reihe, seine Vorgänger in Köln hätten ja regelmäßig am Burgtheater inszeniert – er sei dagegen der Allrounder mit gutem Netzwerk, um große Namen nach Köln zu holen. Sprach´s, nahm sich noch Zeit für einige Interviews und reiste zurück zu den Endproben der „Geschichten aus dem Wienerwald“ – Premiere ist am 2. Februar.
Maldeghem tritt in Köln in große Fußstapfen, das weiß er und kommuniziert es auch offen. Und leicht wird es für ihn nicht sein. Das Salzburger Theater sieht den Wechsel als Auszeichnung, aber die deutschen Medien reagieren etwas ratlos bis sogar hämisch. Aus einer „unverbindlichen Präsentation“ bei der Pressevorstellung und dem Spielplan des Salzburger Hauses schließen zu wollen, dass das vormals oft gescholtene Kölner Theater nun freiwillig „in die dritte Liga zurückgehen“ würde, wie der Theaterkritiker einer Kölner Lokalzeitung kommentierte, ist schon ein wenig gemein. Jede große Stadt hat ihr eigenes Publikum, an das sich ein Intendant richten wird, und daher warten wir erst einmal ab. Und ob es in der Theaterszene so viele große Namen gibt, die unbedingt alle ins oft chaotische Köln wollen, sei mal kritisch dahingestellt.
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