Fast zwei Stunden lang hat die Autorin (Lucia Schulz) um Sätze und Engagement gerungen. Schließlich steigert sie sich in eine nicht enden wollende „Ich scheiß’ drauf“-Suada: Sie scheißt auf alles, von Obdachlosen bis Mädchenhandel – und greift zur elektrischen Gitarre. Ein politischer Wechsel? Oder Eskapismus? Das nö theater spielt „M? – Eine Stadt sucht keinen Mörder“ nach Fritz Langs Filmklassiker, übernimmt aber nicht den Plot, sondern „nur“ die präfaschistische Atmosphäre. Der erste Teil des von Stefan Rogge inszenierten Abends ähnelt einem szenischen Kaleidoskop. Die Autorin müht sich am Tisch mit der Schreibmaschine ab, ein Uniformierter mit Pinocchio-Nase und Guardia Civil-Helm nervt sie zwischen Hilfestellung und Drangsal; ein Mann namens Soundso (Janosch Roloff), der aus dem 19. Jahrhundert zu stammen scheint, kommt in seine Heimatstadt zurück und wird als Fremder abgewiesen. Dazwischen intoniert der Musiker Philipp Ullrich harte Rocksongs. Das Präfaschistische liegt in den Spurenelementen des Ressentiments und der Verdächtigung. Es folgen zwei große Dialogszenen, in denen die Autorin gegenüber Soundso zwischen gesellschaftlicher Mutlosigkeit, der Anprangerung ausländerfeindlicher Pogrome und einer Hypersensibilität changiert. Eine Mittagessensszene in einem NS-Haushalt mit einem latent bedrohlichen Braunhemd-Hausherrn (Yannick Hehlgans) schließt sich an – bis die Autorin „Scheiß drauf!“ brüllt und die Kunst damit kapituliert. Die Schürfarbeit im Atmosphärischen eines (Prä-)Faschismus ist ehrenwert, aber sie bleibt letztlich zu inkonsequent, zu assoziativ-mäandernd und ästhetisch divers.
M? – Eine Stadt sucht keinen Mörder | R: Stefan Rogge | Weitere Termine in der Spielzeit 2022/23 | www.noetheater.de
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