Nä, was geht es dieser Tage wieder jeck zu in den Hochburgen und Möchte-gern- Kapitalen von Jux und Dollerei. Närrische Tollitäten allerorten. Gewandet und verkleidet, um sich unter spaßigem Deckmäntelchen in unverhohlener Frivolität Wams und Mieder vom Leib zu reißen und endlich mal wieder ganz schamlos den sinistren Urfreuden des irdischen Seins zu fröhnen.
Hanns Zischler kennt man seit Jahrzehnten als Schauspieler. Dass er 1968 den Alpheus Verlag gründete, den er vor einigen Jahren reaktivierte, ist weniger bekannt. Nun tritt er auch als Autor eines Comics auf: „Aus der Nachwelt“, dynamisch und grob straffiert illustriert von Friederike Gross, erzählt von einem erfolglosen Maler, dem Besuch aus der Zukunft ins Haus steht. Und der erzählt ihm von seiner großen, posthumen Retrospektive...
Was waren das noch für Zeiten, als sich Marcel Reich-Ranicki mit Sigrid Löffler über eine pornografische Szene in Haruki Murakamis Roman „Gefährliche Geliebte“ zoffte und die ganze Nation am Bildschirm miterlebte, wie Löffler nach zwölf gemeinsamen Jahren das Tischtuch des „Literarischen Quartett“ zerschnitt. Literatur erregte die Gemüter der Fernsehwelt, zuletzt noch 2008 als Reich-Ranicki den Deutschen Fernsehpreis ablehnte, weil ihm das Fernsehprogramm wie ein einziger großer „Blödsinn“ erschien.
Es ist an der Zeit, ein Geständnis abzulegen, einfach um auch anderen möglichen Betroffenen zu helfen. Bei mir begann es in den Siebziger Jahren. Diese eleganten Taschenbücher mit den Zeichnungen von Pablo Picasso, vornehm in Beige gehalten, waren völlig ungewöhnlich für Kriminalromane. Später platzierte der Diogenes Verlag dann Fotos auf die Cover, bei deren Auswahl man sich mitunter fragen durfte, ob die Leute, die sie ausgesucht hatten, auch die Texte kannten.
Bastien Vivés unternimmt mit „In meinen Augen“ den Versuch eines Comics aus subjektiver Perspektive. Das ist visuell zu verstehen – analog zur subjektiven Kamera im Film. Man sieht also nie den Erzähler, sondern immer nur, was der Erzähler sieht. Der lernt eine Frau kennen und ist schnell von ihrer Ausstrahlung fasziniert. Es entwickelt sich eine kleine Romanze. Vivés gelingt nicht nur das Formexperiment, er weiß auch mit seiner zarten Liebesgeschichte voller Andeutungen emotional zu überzeugen (Reprodukt).
Das klingt sehr schön, wenn man es sagt, denn in diesem Namen sind vier Trochäen hintereinander. Also, wie mir mein Germanistik studierender Papagei ins Ohr flüstert: Vier schwere, betonte Silben, denen je eine leichte Silbe folgt.
Welcher kühne Planer ist seinerzeit nur auf den Gedanken verfallen, das neue Jahr am ersten Januar beginnen zu lassen? Ich wache in der Regel am ersten Januar mit Kopfschmerzen auf, und das ist ein schwieriger Anfang für ein Jahr, finde ich.
Heute lesen wir sie noch, aber morgen können sie schon verschwunden sein. Nur noch sieben Jahre wird es in den USA gedruckte Zeitungen geben. So jedenfalls sieht es der australische Zukunftsforscher Ross Dawson, wie die Akademie Berufliche Bildung der Zeitungsverleger in ihrem Newsletter berichtet. Dawson, der zu den umworbensten Beratern unserer Tage gehört, rechnet weiter: In neun Jahren hat das letzte Stündlein der Zeitungen in England geschlagen, in Deutschland wird es noch bis 2031 gedruckte Zeitungen geben – wobei man sich fragen darf, wie die dann wohl aussehen mögen –, und als letzte dürfen die Menschen in den heutigen Entwicklungsländern so um das Jahr 2050 noch ein Stück Zeitungspapier in Händen halten.
Sparschweine sind dazu da, dass man sie mit Geld mästet. Es gibt aber auch Sparschweine, denen man nichts zu futtern lässt, sondern an deren Unterhalt man noch spart. Das sind sogenannte arme Schweine. Die muss Monika Ziller, Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbands, gemeint haben, als sie jetzt von den Bibliotheken als den „Sparschweinen der kommunalen Haushalte“ sprach. Seit den Neunziger Jahren wurde das Netz der öffentlichen Bibliotheken ausgedünnt, und dennoch ist ihre Nutzung seit der Jahrtausendwende um 22 Prozent gestiegen. Der soeben erschienene „Bericht zur Lage der Bibliotheken in Deutschland“ belegt, dass die rund 11.000 Bibliotheken über 200 Millionen Besucher und 466 Millionen Ausleihen im letzten Jahr vorzuweisen haben.
Der Dezember ist für mich eine angeschneite Mischung aus Mutter Theresa und Paris Hilton. Er ist Theresa Hilton, die monatgewordene Manifestation von schrillem Schein und wahrer Wohltat. Er ist ein einziges Fest und ein eisiger Frost; mehr noch, der Dezember ist Zuckerwatte und Zahnarzt in einem.
Draußen wird es kälter, was sich positiv auf meine Formulierfreude auswirkt, da ich mehr Zeit damit verbringe, kunstvoll Prädikat an Nomen zu löten. Ich war nicht mehr draußen, seit der Pool im Garten meines Herrenhauses mit einer puckdicken Eisschicht überzogen ist. Das sind 2,54 Zentimeter, habe ich gerade im Regelbuch des deutschen Eishockeyverbandes nachgeschlagen. Ansonsten besitze ich übrigens keine Bücher, sondern nur Heftchen.
In Heftchen stehen nämlich gloriosere Sätze. Nehmen wir das Monatsmagazin der Deutschen Bahn, das „mobil“. Da las ich vor kurzem in einem Artikel über Uhrmacher folgende Passage: „Die Dings und Dongs sind eine Freude für den Benutzer, aber eine Qual für jeden Uhrmacher. Die Repetition ist für ihn das, was der Mount Everest für einen Bergsteiger bedeutet: der schmerzhafte Gipfel der Gefühle.“
Ein Leben, das um Bücher kreist
„Roberto und Ich“ von Anna Katharina Fröhlich – Textwelten 06/25
Die Spielarten der Lüge
„Die ganze Wahrheit über das Lügen“ von Johannes Vogt & Felicitas Horstschäfer – Vorlesung 05/25
Starkregen im Dorf der Tiere
„Der Tag, an dem der Sturm alles wegfegte“ von Sophie Moronval – Vorlesung 05/25
Im Fleischwolf des Kapitalismus
„Tiny House“ von Mario Wurmitzer – Literatur 05/25
Ein Meister des Taktgefühls
Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ – Textwelten 05/25
Die Kunst der zärtlichen Geste
„Edith“ von Catharina Valckx – Vorlesung 04/25
Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25
Ein wunderbarer Sound
Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25
„Schon immer für alle offen“
Marie Foulis von der Schreibwerkstatt Köln über den Umzug der Lesereihe Mit anderen Worten – Interview 03/25
Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25
Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25
Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25
Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25
Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25
„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25
Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25
Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25
Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25
Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25
Aufwändige Abschlüsse
Comics, die spannend Geschichten zu Ende bringen – ComicKultur 02/25
Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25
Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25
Gespräch über die Liebe
„In einem Zug“ von Daniel Glattauer – Textwelten 01/25