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Foto: Irma Flesch

Umzug in den Kühlschrank

30. Juni 2011

Sebastian 23 zählt an: Zehn – die Video-Kolumne - Poetry 07/11

Die Rückwand des Kühlschranks steht zwischen Eva Briegel und einem Eisbär

Der Juli ist in Wirklichkeit gar kein Monat, sondern eine deutsche Pop-Rock-Band aus Gießen. Die beiden, die bei Juli singen, heißen Briegel und Triebel mit Nachnamen und schufen Hits mit Titeln wie „Geile Zeit“ und „Perfekte Welle“. Nicht zu verwechseln sind sie übrigens mit der etwas traurigeren Band Februar, die Hits hatte wie „Mäßig gute Zeit“ und „Ganz netter Seegang“. Schlimm ist auch, dass ich mich letzten Monat schon ausführlich über die Hitze ausgelassen habe, ich mich aber erst jetzt fühle, als nähme ich ein Fußbad in der Friteuse, während mir eine brünftige Kuh durch einen Fön ins Gesicht atmet.

Zart schmelzende Polkappen

Wie soll man denn da in Ruhe eine Kolumne schreiben, während die Zeilen vor den Augen schmelzen und sich am unteren Rand des Monitors zu einem Meer sammeln? Von links treibt wie ein Eisberg eine kleine Excel-Tabelle ins Bild, deren größter Teil ist schon im Buchstabenmeer versunken. Oben drauf schwankt ein fetter warzenübersäter Eisbär hin und her und pfeift Februars Hit: „Ganz netter Seegang“. Der Eisbär ist fett und warzenübersät, weil er deutlich machen will, dass er nicht der Zombie von Knut ist. Und weil er es plakativ liebt, kotzt er auch noch einen blau-weißen Banner aus, der sich wie ein Regenbogen über den Himmel meines Monitors spannt und auf dem zu lesen ist: „Ich bin nicht süß, ich kotze Banner, ihr Spaten!“ Vom oberen Bildschirmrand her beginnt es, kleine Bilder von Dieter Bohlen zu rieseln. „Es regnet!“ ruft der Eisbär. Doch aus dem schwarzen Buchstabenmeer taucht ein Delfin auf, der ihn zurechtweist.

Witzefrei statt Hitzefrei

„Das ist kein Regen, sondern Bohlen! Es regnet nicht, es bohlt!“ Der Delfin verwandelt sich in einen Buddhisten und wird eins mit dem Universum. Staunend sehe ich, wie mein Laptop offensichtlich genug hat. Es wird ihm zu abstrakt, er streckt mir aus dem DVD-Laufwerk die Zunge raus und beginnt dann, mit Hilfe des Klappscharniers wie ein Schmetterling zu flattern und von meinem Schreibtisch abzuheben. Dabei fallen natürlich der Eisbär und der Delfin-Buddhist raus und das schwarze Buchstabenmeer spritzt mir an alle Wände. Die Buchstaben formieren sich neu und dort steht wieder und wieder eine Schlagzeile zu lesen: „Bonn. Die Gewerkschaft Geschmolzener Texte fordert Hitzefrei für Kolumnisten!“

Die Rückwand des Kühlschranks

Offensichtlich ein älterer Satz, denn die Gewerkschaft Geschmolzener Texte hat seit der Wiedervereinigung ihren Sitz in Berlin. „Kunst ist es, das Alter eines Satzes am Sitz einer Gewerkschaft zu erkennen“, denke ich und gehe zum Kühlschrank, um dort einzuziehen.

Als ich die Kühlschranktür hinter mir schließe, bleibt das Licht an. Das überrascht mich nicht, darüber ist schon viel geschrieben worden. Schon ungewöhnlicher finde ich, dass die Rückwand meines Kühlschranks sich öffnet, offenbar ist das auch eine Tür. „Wenn sich eine Tür schließt, geht eine andere auf“, sagt der warzige Eisbär.

Keine Ahnung, wie der hier reingekommen ist. Egal, ich gehe durch die Tür auf der Rückseite des Kühlschranks und bin plötzlich im Proberaum von Juli. An der Decke hängen Eiszapfen, wegen der sexuellen Ausstrahlung der Sängerin Eva Briegel. Der Boden hingegen besteht aus kleinen Dieter Bohlens.

Wir sind down im krassen Raum

„Wir stehen auf Dieter Bohlen“, sagt Eva Briegel, als sie meinen Blick bemerkt.

„Krasser Raum“, kommentiere ich.

„Krasser Raum – Guter Titel“, sagt Briegel zu Triebel.

Und das ist die Geschichte, wie die Band Juli zu ihrem dritten Hit nach „Geile Zeit“ und „Perfekte Welle“ gekommen ist.

Wie es hingegen zum neuen Hit von Februar kam, der da heißt „Okaye Location“, erzähle ich Euch ein anderes Mal.

Sebastian 23

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