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Noch bleibt er als Kabarettist seinem Klavier treu und greift nicht zur Blockflöte
Matthias Reuter

Kindergeburtstagsterror auf der Wortschatz-Bühne

30. Juni 2011

Der Musik-Kabarettist Matthias Reuter geht den „Schrecken des Alltags“ nach - Literatur-Portrait 07/11

Ein Klavier auf einer Kabarett-Bühne, das ist schon lange nicht mehr das alleinige Markenzeichen des großartigen Hagen Rether. Dieser begann seine Bühnekarriere als Pianist im Programm von Ludger Stratmann, nutzt das Instrument in seinem Dauerbrenner-Programm „Liebe“ jedoch kaum noch zum Spielen, vielmehr putzt und wienert er es während seines Vortrags akribisch. Eine jüngere Generation von Kabarettisten entdeckt nun jedoch wieder das Musikkabarett für sich − allen voran Bodo Wartke und Matthias Reuter. Letzterer gastiert in diesem Jahr auf der trailer-Wortschatzbühne bei Bochum Total.

Kein Posaunenkabarett

Der 1976 geborene Oberhausener hat eine ganz eigene Erklärung dafür, dass Tasteninstrumente auf Kabarettbühnen gerade boomen: „Ich habe viele Lieder mit Klavier im Programm, weil man zur Blockflöte nicht singen kann. Das wäre ja mein Zweitinstrument: Blockflöte. Die habe ich an der Grundschule gelernt. Vielleicht geht das ja vielen anderen genauso? Ich weiß es nicht. Im so genannten JEKI-Schulunterricht („Jedem Kind ein Instrument“) gibt es ja jetzt viele Bläserklassen. Mal sehen, was das für eine Generation von Kabarettprogrammen hervorruft. Wenn der große Kabarett-mit-Posaune-Boom kommt, dann gucke ich mir das mit der Blockflöte vielleicht noch mal an. Bis dahin bleibe ich beim Klavier, weil mein Gitarrespiel so ist wie mein Skatspiel: nicht komplett ausgereizt.“

Musik ist wichtiger Bestandteil von Reuters Bühnenprogramm. Auch, wenn er seine Texte nicht in Liederform kleidet, sind seine Sprachspiele hochmelodisch. Der Frage, ob er sich eher als Liedermacher oder als Kabarettist sieht, weicht er aus: „Da sind die Grenzen ja fließend. Ich trete mit meinen Sachen jedenfalls genauso bei Liedermacher-Abenden wie bei Kabarettabenden auf. Ein Instrument ist jedenfalls nie bloß als „unterstützendes Utensil“ zu sehen, egal, was man damit macht. Der Stuhl vor dem Klavier ist aber für mich in jedem Fall ein unterstützendes Utensil, da ich sonst auf dem Boden sitzen würde.“

Weimarer Vorbilder

Wenn Matthias Reuter sich hinter sein Klavier setzt, spielt über sein Gesicht der Schalk eines Heinz Erhardt, doch seine Vorbilder sieht er noch früher. Sein Studium der Germanistik, Geschichte und Philosphie beschloss er mit einer Magisterarbeit zum Kabarett der Weimarer Republik. „Was meine Abschlussarbeit anbelangt, war´s so, dass es mir einfach am wenigsten langweilig erschien, etwas zu einem Thema zu machen, das mich wirklich interessiert. Und wirklich: das Kabarett der Weimarer Republik ist eine spannende Thematik gewesen, da – wie Werner Finck das geschrieben hat – besonders die Zeit zum Ende der Weimarer Republik eine war, in der Kabarett lebensgefährlich werden konnte.“

Da wundert es nicht, wenn der Mitt-Dreißiger einen anfangs harmlosen Supermarkteinkauf schildert, dessen zunehmend apokalyptischer Ablauf wie eine moderne Version des legendären „Überziehers“ seines Beinahe-Namensvetters Otto Reutter klingt (vielen dürfte die Interpretation von Peter Frankenfeld geläufiger sein, bei Youtube ist beides zu finden). Die Liebe zum Kabarett war also schon zu Studienzeiten ausgeprägt, aber an ein eigenes Bühnenprogramm dachte Reuter zu dieser Zeit noch nicht. „Zu dieser Zeit habe ich eher Comics gezeichnet und Musik gemacht. Ich hatte aber circa drei kabarettistische Stücke, die ich beim Folk Club in Oberhausen auch schon mal vor Publikum gespielt hab. Nach dem Studium habe ich dann 2004 die restlichen Stücke für ein Programm dazu geschrieben − auch in Ermangelung einer beruflichen Alternative, die besser zu mir passt.“ Dass er mit dieser Berufswahl den richtigen Weg eingeschlagen hat, beweisen die zahlreichen Auszeichnungen, die er bei Kabarett-Wettbewerben erzielen konnte sowie seine regelmäßige Präsenz im WDR-Hörfunk und anderen Medien.

Vom Reiz des Festivals

Mittlerweile gibt es von Reuter auch ein Buch. Unter dem Titel „Schrecken des Alltags“ versammelt es Kurzgeschichten mit Comics und Gedichten. Auch Stücke aus seinem Programm sind zum Teil im Buch enthalten. Dort kann man sie nachlesen, die sprachlichen Kleinode zu Terrorgefahr im ICE oder dem Kindergeburtstag im Autokino. Dort fehlt allerdings Matthias Reuters souveräner Umgang mit Rhythmus und Melodie, dieser besondere Charme, den sein Liveprogramm ausstrahlt.

Dem Auftritt bei Bochum Total, der ja immerhin vor einem großen Laufpublikum stattfindet und gelegentlich mit Wetterkapriolen zu kämpfen hat, sieht Reuter gelassen entgegen: „Vor kurzem war ich auf Zeche Zollverein. Da hat es in Strömen geregnet und das Publikum ist dann zu mir auf die Bühne gekommen, weil´s dort trocken war. Das könnte ich auch für Bochum anbieten.“ Außerdem hat er mit Kollegen bereits Erfahrungen zur Wortschatzbühne ausgetauscht: „Von den Schementhemen habe ich erfahren, dass die Bochumer sich bei der Wortschatzbühne eher mal hinsetzen, um sich das Programm dort anzugucken. Würde ich ja selber auch so machen. Insofern mache ich mir keine Sorgen. Außerdem kann man ja generell bei Laufpublikum zumindest schon mal sagen: et läuft.“

Seine Informanten zur trailer-Wortschatzbühne sind auch Matthias Reuters ganz persönlicher Tipp: „Gucken Sie sich die beiden Autoren Myk Jung und Klaus Märkert von den Schementhemen am 22.7. auf der Wortschatzbühne an! Es lohnt sich!“

Matthias Reuter: „Schrecken des Alltags“ WortArt bei Edel, 180 Seiten, 14,95 Euro

FRANK SCHORNECK

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