In völliger Dunkelheit setzt die Streichersuite aus einer alten Diamantenwerbung dramatische Tupfer und beschwört Bilder von Reichtum und Leidenschaft. Nach der stimmungsvollen Ouvertüre geht es in medias res zu den jungen Liebenden. Ferdinand trägt nackte Brust unter seinem offenen schwarzen Sakko mit dem extravaganten Schnitt, Luises bloße Schulter, vom puristischen Designerkleid freigelassen, bebt im Sturm der Gefühle. Gezielt enthüllte Körperpartien als direkter Zugang zu den Emotionen unter der Haut – diese Gleichung geht auf in Volker Lippmanns Inszenierung. Mit der 100. Inszenierung in seinem Haus wendet sich der Intendant besonders an sein jugendliches Publikum. Was insofern Sinn ergibt, als „Kabale und Liebe“ 2014 Thema im Zentralabitur sein wird und nun ganze Deutschkurse in die Theater treibt. Ergo wird das bürgerliche Trauerspiel landauf, landab auf die Bühnen gebracht, in den unterschiedlichsten Interpretationen. Den künftigen Abiturienten wohlwollend zugewandt, stellt Lippmann die zeitlos verständliche verbotene Liebe in den Mittelpunkt und setzt viele junge Schauspieler ein.
Noch bevor die Deckenbeleuchtung ausgeht, treten Janosch Roloff als Ferdinand und Eva Wiedemann als Luise betont unprätentiös in Bademänteln auf die Bühne und scheinen die Liebesschwur-Szene ein letztes Mal miteinander zu proben. Als beide kurz darauf, komplett in Kostüm und Rolle, zurückkehren, steht die erste Verbindung bereits. Der 29jährige Roloff, als Regisseur kürzlich für „V wie Verfassungsschutz“ mit dem Kölner Theaterpreis und dem Kurt-Hackenberg-Preis für politisches Theater ausgezeichnet und als Schauspieler 2012 diplomiert, gibt den fehltretenden Fürstensohn als mitreißenden Heißsporn. Eva Wiedemann, gerade mal 24 und Absolventin des gleichen Abschlussjahrgangs der Theaterakademie Köln, verleiht dem einfachen Mädchen genau die richtige Mischung aus Verletzlichkeit, Stolz und Unbescholtenheit. Fast so romantisch wie bei Bella und Edward.
Auch Till Klein als intriganter Einflüsterer Wurm, der die zarten Bande eigennützig zerschneidet, Christina Woike als Kammerdiener und Ann-Cathrin Schaible als von Ferdinand verschmähtes Luxusgeschöpf verstehen es wie ihre älteren Kollegen (Michael Marwitz und Stefan Krause als die verständnislosen Väter und Matthias van den Berg in der Rolle der überkandidelten Hofschranze), durch ihr eingängiges Spiel Zuschauer aller Generationen anzusprechen. Die Regie verzichtet auf Anbiedereien, krampfhafte Modernisierungen, aber auch auf eine starke eigene Handschrift. Das macht den Klassiker in jeglicher Hinsicht leicht verdaulich. Ästhetische Akzente setzen vor allem die Kostümkreationen der Neusser Modeschöpferin Bettina Dörnemann, mit denen die Akteure wie Models über die ins Publikum verlängerte Laufsteg-Bühne schreiten – in ihrer asiatisch anmutenden Schlichtheit elegante Stücke, die das Edle der Figuren (ob qua Persönlichkeit oder Stand) betonen.
„Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller | R: Volker Lippmann | Theater Tiefrot | 14.-17./21.-23.1. 20.30 Uhr | www.theater-tiefrot.de
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