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„Medea“
Foto: Sebastian Hoppe

Keiner will einen blassen Argonauten

30. März 2017

Roger Vontobel inszeniert in Düsseldorf „Medea“ – Theater am Rhein 04/17

Da steht das Haus vom Nikolaus. Ein brettgewordenes Kinderrätsel aus einer Linie. Einer Linie, die sich in Düsseldorf als One-Woman-Show durch die antike Euripides-Tragödie der Medea zieht. Die alte Hexe schreit im Central am Bahnhof nach der unverzeihlichen Demütigung in ihrem Haus, drei Schläge künden von ihrem Auftritt. Mehr ist erst einmal nicht im weiten Saal des Düsseldorfer Schauspielhauses, wo sich Regisseur Roger Vontobel der griechischen Mythologie-Figur stellt. Diese Frauengestalt jenseits patriarchaler Weltsichten versucht er offensichtlich wieder dorthin einzufangen, transponiert die Stade von Korinth in ein zeitloses Puppenhaus, bläst den Chor in eine Sprechblase und lässt ihn den Abend durch „Mäßigung“ propagieren – Mäßigung als schönste Gabe der Götter. Klar, wer die Macht hat, will keine Zügellosigkeit mehr. Wer um seinen Besitz fürchtet, fürchtet in erster Linie die Macht des Unbeherrschbaren, und damit sind wir ganz schnell in der Gegenwart angelangt. Aber wohl anders als sich das die Dramaturgie gedacht hat.

Jana Schulz ist der Dreh- und Angelpunkt des Abends. Eine Medea die in ihrer Wut erst ihre Wildheit ausschwitzen muss, um dann kühl und gelassen, als Todesvogel auf dem Fensterbrett die Rache zu planen. Schulz macht das gewohnt dauerexpressiv, aber das Spiel um Verrenkung, Mimik und Fallsucht nutzt sich ab, selbst bei so einer Schauspielerin. Das Weibliche wird ihr verwehrt, selten genug ist sie Mutter, obwohl ihre zwei Söhne (good old 1930er-Style?) doch dauerhaft die Ebene bevölkern. Vontobel will die patriarchale Sicht und Alternativen gegen die müpfigen Göttinnen: Blinde Wut ist eben ein Übel und die erfordert: Mäßigung – die schönste Gabe der Götter. Gesetze gegen Gewalt, das Fügen unter die Macht für ein ruhiges Leben. Jason wollte sowas. Klar, der alte Haudegen schafft sich schnell alternative Fakten über die Geschehnisse in Kolchis, der Yuppie-Chor säuselt. Taktik bei der Königinnenwahl? Das will der blasse Argonaut (Torben Kessler) von nebenan (eigentlich auch eine Frechheit) Medea verkaufen? Als zwei Seiten einer Münze oder als zwei Giebel des Puppenhauses, wo er sie als Konkubine gerne dauerhaft hätte. Da schmust man schon mal gedankenlos. Maximieren, genau. Doch die Rückseite blättert schon und Hekate, die magische Göttin ist eine gefährliche Feindin. Ihr Name ist dort bereits getaggt.

Kreon (Claudia Hübbecker) ist nicht blöd, aber ein Weichei, zu schwach für den Wahnsinn Medeas, seine Tochter gleich nur als Geist vorhanden – von allem was lebt, haben es die Frauen doch am schlimmsten, doch wie geduldig müssen sich die Menschen den Schicksalsschlägen stellen. Das Böse ist immer und überall. Vontobel gerät in die effektfreie Dauerschleife. Rein ins Haus, raus aus dem Haus. Zusammenbruch, deklamieren, irgendwie reicht es nie so ganz. Wenn Jana Schulz nicht wäre, es bliebe eine blasse Tragödie mit zu leisen Tönen, die auch eine kleine Spieluhr („Für Elise") beim Kindermorden nicht aufpolieren kann. Medea genießt den martialischen Sieg wie einen Orgasmus, Jason muss im Staube kriechen und das Häuschen drehen. „Du Scheusal, du allen Menschen verhasstes Weib.“ Wie war das noch mit Mäßigung? Mit Zauberinnen ist nie gut Kirschen essen. Seine Lebensplanung ist dahin. Gut so.

„Medea“ | R:Roger Vontobel | Sa 1.4., Mi 12.4., Fr 21.4. 19.30 Uhr | Schauspielhaus Düsseldorf | 0211 36 99 11

PETER ORTMANN

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