choices: Herr Frank, wie hoch ist das strukturelle Defizit der Stadt?
Jörg Frank: Der Haushaltsplan 2012 weist ca. 3,25 Mrd. Euro Erträge und 3,47 Mrd. Euro Aufwendungen aus. Das macht knapp 217 Mio. Euro Defizit. Rechnet man Finanzerträge und Zinsaufwand hinzu, liegt es bei 211 Mio. Euro. Dieses Jahresergebnis verschlechtert sich noch bis 2015 auf 281 Mio Euro.
Würden höhere Steuereinnahmen dieses Ergebnis korrigieren?
Selbst bei guter Konjunktur bleibt ein Defizit, weil die städtischen Aufgaben mit den durchschnittlichen Einnahmen nicht zu finanzieren sind. Die Gewerbesteuereinnahmen erreichten 2007 knapp 1,1 Mrd. Euro und sind in den Folgejahren um über 200 Mio. Euro eingebrochen. Fazit: Das strukturelle Defizit liegt auf Dauer bei mindestens 250 Mio. Euro. Die Stadt Köln lebt über ihre Verhältnisse.
Die wichtigsten Ursachen dafür?
Bund und Land übertragen den Städten seit Jahren immer mehr Aufgaben, ohne die dafür notwendigen Finanzmittel bereitzustellen. Kölns Belastung ist dabei bis 2010 auf 160 Mio. Euro im Jahr gestiegen. Auch Steuergesetze des Bundes wie das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ bescheren der Stadt ein Minus, letzteres ca. 30 Mio. Euro. Die Finanzkrise hat schließlich Mehrausgaben bei Sozialleistungen zur Folge. Hausgemacht sind die kostspieligen Finanzierungen der Nord-Süd-U-Bahn und die Übernahme der Sparkassenbeteiligungen, die auf EU-Recht zurückgeht. Beides hängt mit früheren Fehlentscheidungen von SPD und CDU zusammen.
Wo sollte im städtischen Haushalt gekürzt werden?
Grundsätzlich muss jede städtische Leistung überprüft werden. Das gilt auch für politische Prioritäten von Rot-Grün. Es gibt leider keinen Befreiungsschlag der „großen Einsparung“. Der Personalaufwand ist übrigens mit derzeit 802 Mio. Euro einer der größten Ausgabenblöcke. Er sollte auf dem Niveau von 2010 bei 733 Mio. Euro festgeschrieben werden. Das Ziel wurde verfehlt. Ein besseres Personalmanagement ist die größte Herausforderung.
Kann Sparen allein helfen?
Nein, auf vieles können wir auch nicht vollständig verzichten. Gebühren und Kommunalsteuern wurden bereits erhöht. Fazit: Die städtische Haushaltskrise kann Köln nicht aus eigener Kraft bewältigen. Es führt kein Weg an einer wirksamen Gemeindefinanzreform vorbei, die von der Bundesregierung aktiv betrieben werden müsste, was aber nicht geschieht. In der NRW-Verfassung müsstevorbehaltlos eine finanzielle Mindestausstattung der Städte rechtlich verankert werden, ansonsten droht mit der „Schuldenbremse“ eine weitere Verteilung zu Lasten der Kommunen. Daneben muss das Konnexitätsprinzip tatsächlich angewandt werden.
Zu welchen strukturellen Reformen raten Sie?
Zu einer verbindlichen Priorisierung aller Sanierungs- und Investitionsmaßnahmen. Der Stadt fehlen eine strategische Infrastruktur- und Finanzplanung und eine Steuerung mit Kennzahlen und Leistungsvereinbarungen für alle wesentlichen Zuschussbereiche. Das Stichwort heißt „wirkungsorientierter Haushalt“.
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