choices: Herr Detjen, wie hoch ist das strukturelle Defizit der Stadt aus Ihrer Sicht?
Jörg Detjen: Das Defizit wird 2012 nach der letzten Meldung der Kämmerin bei Gesamtausgaben von 3,473 Milliarden Euro etwa 210 Millionen Euro betragen. Diese Finanzlücke besteht etwa zur Hälfte als strukturelles Defizit schon seit Anfang des letzten Jahrzehnts. Es wurde nur kurzzeitig durch ein ungewöhnliches Hoch bei der Gewerbesteuer verdeckt.
Die wichtigsten Ursachen dafür?
Ein Großteil der Ausgaben der Stadt sind sogenannte Pflichtaufgaben, für die Land und Bund chronisch zu geringe Finanzmittel bereitstellen. Wenn hier keine Änderung eintritt, werden Städte wie Köln ihre Finanzen nur auf Kosten von Kultur, Bildung, der Gesundheitsversorgung, der Infrastruktur und des Sozialbereichs sanieren können. Einige kapitale Fehler der Ratskoalitionen und der Stadtspitze im letzten Jahrzehnt haben die Situation noch verschlimmert, etwa der rechtswidrige Deal mit Oppenheim-Esch in Sachen Mietzahlungen Messe, die überdimensionierte Müllverbrennungsanlage, die millionenteure Treppe am Deutzer Rheinufer …
Kann das Defizit durch Sparen abgebaut werden?
Nein. Die Möglichkeiten für Kürzungen wurden mehr als ausgereizt und haben bereits ihre Schäden hinterlassen. Unter den Folgen leidet die Stadtgesellschaft, vor allem Arbeitslose, Geringverdiener, Kulturschaffende und auch das überlastete städtische Personal. Eine Folge der verfehlten Kürzungspolitik ist auch der völlig unterentwickelte öffentlich geförderte Wohnungsbau in Köln.
Kann aus Ihrer Sicht im städtischen Haushalt überhaupt noch gekürzt werden?
Abgesehen von wenigen Prestigeprojekten ist das Problem des städtischen Haushaltes nicht die Ausgaben- sondern die Einnahmeseite. Die Gewerbesteuer als größte eigene Einnahmequelle macht in 2012 mit etwa einer Milliarde Euro etwa ein Drittel der Gesamteinnahmen aus. Wäre hier der Hebesatz erhöht worden, wie es DIE LINKE seit Jahren forderte, wäre das Kölner Finanzloch heute sehr viel kleiner. Die Erhöhung zum letzten Haushalt kam zu spät und blieb mit nur 25 Punkten unter den von uns geforderten 40. Außerdem gibt es keinen Grund, warum Kioskbesitzer die Steuer zahlen müssen, Ärzte und Rechtsanwälte aber nicht. Darüber entscheidet allerdings der Bund.
Helfen denn strukturelle Reformen?
Die Stadt kann Geld sparen, indem sie Personal einstellt. Das klingt überraschend, ist aber so. Der derzeitige Personalmangel führt zu hoher Arbeitsbelastung und damit verbunden zu einem hohen Krankenstand mit gewaltigen Kosten. Dazu werden Millionen für Gutachten und andere externe Beauftragungen ausgegeben, weil bestimmtes Expertenwissen nicht in der Verwaltung verfügbar ist oder die entsprechenden Fachleute überlastet sind. Wenn das eigene Personal solche Aufgaben wahrnimmt, kostet das die Stadt je nach Bereich nur die Hälfte oder sogar nur ein Drittel. Drittes Beispiel: mehr städtische Betriebsprüfer im Bereich der Gewerbesteuer einstellen. Jede Stelle in diesem Bereich führt zu Mehreinnahmen von etwa einer Million Euro.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Bund und Land stellen keine ausreichenden Ausgleichsmittel zur Verfügung“
Martin Börschel (SPD) - Thema 07/12 Stadtkasse
„Alle Bereiche müssen sparen“
Thor Zimmermann von der Wählergruppe DEINE FREUNDE - Thema 07/12 Stadtkasse
„Optimierung des Verwaltungsablaufs wäre sinnvoll“
Karl-Jürgen Klipper (CDU) - Thema 07/12 Stadtkasse
„Bund und Land übertragen den Städten seit Jahren immer mehr Aufgaben“
Jörg Frank (Bündnis 90/Die Grünen) - Thema 07/12 Stadtkasse
Norbert Bude (Städtetag NRW)
Auszug aus dem Gemeindefinanzbericht 2012 des Städtetages NRW - Thema 07/12 Stadtkasse
„Köln hat ein massives Ausgabenproblem“
Ulrich Breite (FDP) - Thema 07/12 Stadtkasse
„Schulden werden sich 10 Jahren verdoppeln“
Klaus Hoffmann (Freie Wähler Köln) - Thema 07/12 Stadtkasse
Deine Stadt muss „sparen“
Von vielem zu viel, von manchem zu wenig - THEMA 07/12 STADTKASSE
„Psychische Erkrankungen haben nichts mit Zusammenreißen zu tun“
Teil 1: Interview – Psychologe Jens Plag über Angststörungen
„Nicht nur ärztliche, sondern auch politische Entscheidung“
Teil 2: Interview – Psychiater Mazda Adli über Ängste infolge des Klimawandels
„Das Gefühl, dass wir den Krisen hinterherjagen“
Teil 3: Interview – Miriam Witz von Mein Grundeinkommen e.V. über Existenzängste und Umverteilung
„Sport wird instrumentalisiert, um positive Emotionen zu empfinden“
Teil 1: Interview – Sportpsychologin Jana Strahler über Sportsucht
„Ausstrahlung ist mehr als die äußere Erscheinung“
Teil 2: Interview – Psychoanalytikerin Ada Borkenhagen über Schönheitsoperationen
„Schönheit ist ein zutiefst politisches Thema“
Teil 3: Interview – Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner über Schönheitsdruck
„Meine Freiheit als Rezipient wird vergrößert“
Teil 1: Interview – Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich über Triggerwarnungen in Kunst und Kultur
„Wie eine Allergie, die keine ist“
Teil 2: Interview – Allergologin Petra Zieglmayer über den Umgang mit Histaminintoleranz
„Solche Tendenzen sind nicht angeboren“
Teil 3: Interview – Sozialpsychologin Fiona Kalkstein über Autoritarismus und Demokratiefeindlichkeit
„Problematisch, wenn sich Kritik auf Demokratie an sich richtet“
Teil 1: Interview – Politikwissenschaftler Sven T. Siefken über den Zustand der Demokratie
„In ihrer jetzigen Form hat Demokratie keine Zukunft“
Teil 2: Interview – Soziologe Robert Jende über eine Politik jenseits von Parteizugehörigkeit
„Viele Menschen haben das Gefühl, sie werden nicht gehört“
Teil 3: Interview – Medienforscherin Dorothée Hefner über Vertrauen in politische Berichterstattung
„Gier ist eine Systemeigenschaft im Finanzsektor“
Teil 1: Interview – Soziologe Sighard Neckel über Maßlosigkeit im Kapitalismus
„Die Klimakrise rational zu begreifen reicht nicht“
Teil 2: Interview – Neurowissenschaftler Joachim Bauer über unser Verhältnis zur Natur
„Dieses falsche Gesellschaftsbild korrigieren“
Teil 3: Interview – Philosoph Jan Skudlarek über Freiheit und Gemeinwohl
„Der Verfassungsschutz betreibt ideologische Gesinnungskontrolle“
Teil 1: Interview – Rolf Gössner über politische Tendenzen des Verfassungsschutzes
„Polizeibeamte kommunizieren in der Regel in einem Herrschaftskontext“
Teil 2: Interview – Kriminologe Rafael Behr über die kritische Aufarbeitung von Polizeiarbeit