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„Ein gemeinsames Feindbild erzeugen“

15. Januar 2020

Janosch Roloff über „Francos Hermannsschlacht“ im Orangerie-Theater – Premiere 01/20

Der Regisseur Janosch Roloff ist mit seinen Rechercheprojekten zum Verfassungsschutz oder zur AfD bekannt geworden. Er unterrichtet allerdings auch Schauspiel an der Theaterakademie Köln. Beide Tätigkeiten verbindet er jetzt in seiner Inszenierung „Francos Hermannsschlacht“ (AT), einer Diplominszenierung für den Abschlussjahrgang der Akademie. Kleists „Die Hermannsschlacht“ als Stück des Kanons, das den berühmten Sieg von Hermann dem Cherusker über die Römer dramatisiert, tritt dabei neben die die Recherche über Oberleutnant Franco A., der 2017 wegen des Verdachts auf Planung eines rechtsterroristischen Anschlages verhaftet wurde. Was die beiden Geschichten verbindet, erzählt Janosch Roloff im Premieren-Gespräch.

choices: Herr Roloff, was verbindet Kleists „Die Hermannsschlacht“ mit dem Rechtsterroristen Franco A.?

Janosch Roloff: „Die Hermannsschlacht“ wird zwar heute nur noch selten gespielt, im Nationalsozialismus gab es allerdings unzählige Aufführungen davon. Kleist verarbeitet darin den Mythos von Hermann, der Deutschland verteidigt und die römischen Besatzer wenigstens einmal geschlagen hat. Hermann wendet dabei die Guerillataktik an, dass sich Germanen als Römer verkleiden und im eigenen Land morden und Häuser abbrennen lässt, um so die Germanen zu einen und ein gemeinsames Feindbild zu erzeugen. Das ist genau die Taktik, die auch Franco A. unterstellt wird: Er hat sich als syrischer Asylsuchender ausgegeben und wollte so einen terroristischen Akt begehen, der dann dieser Tarnidentität zugeschrieben würde.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Recherchethema mit einem Stück des Kanons zu verbinden?

Der Abend ist auch die Diplominszenierung der Student*innen der Theaterakademie. Sie präsentieren sich damit zum ersten Mal der Öffentlichkeit und es sollte eben nicht nur eine Stückentwicklung sein, sondern sie sollen auch zeigen, was sie an klassischer Rollenentwicklung und psychologischem Spiel gelernt haben.

Die Studenten haben also nicht nur ihre Rollen studiert, sondern auch an der Recherchearbeit teilgenommen?

Ja, ähnlich wie beim Nö-Theater sind auch hier die Darsteller an der Recherche beteiligt. Wir haben bereits im April begonnen, zu Franco A. zu recherchieren, haben mit der TAZ-Journalistin gesprochen, die mit Kollegen die Verbindungen zum Hannibal-Netzwerk aufgedeckt hat. Es gibt zwar das Fach Stückentwicklung im Ausbildungsgang der Studenten, allerdings in eher kleinem Rahmen. Was wir jetzt machen, hat die Dimension einer freien Produktion, eingeschränkt dadurch, dass wir uns an die Unterrichtszeiten halten müssen. Nichtsdestotrotz ist es eine neue Erfahrung für die StudentInnen.

Was haben Sie bisher recherchiert, was auch auf die Bühne kommen wird?

Wir haben uns sehr lange damit beschäftigt, wie der Fall zu bewerten ist. Die Vorfälle sind bis heute nicht restlos aufgeklärt. Wie realistisch sind die Angaben von Franco A., ist er vielleicht sogar unschuldig? Man muss sehr sensibel vorgehen, wenn man lebende Menschen auf der Bühne präsentiert. Deshalb wollten wir uns sehr sicher sein, was wir auf der Bühne behaupten. Wir haben uns durch Franco A.‘s antisemitische und verschwörungstheoretische Masterarbeit durchgearbeitet, die er bei der Bundeswehr geschrieben hat. Wir haben versucht, zu verstehen, was am Wiener Flughafen passiert ist, wo er eine Waffe versteckt hat. Im November hat dann der Bundesgerichtshof entschieden, dass Franco A. wegen einer schweren staatsgefährdenden Straftat angeklagt werden soll. Das hat dann die Ausrichtung des Stückes nochmal erheblich verändert.

Zu welcher Haltung sind Sie hinsichtlich Franco A. Taten gelangt?

Wir gehen davon aus, dass er diesen Anschlag geplant hat. Er wollte ihn unter dieser Tarnidentität begehen, um den sogenannten Tag X auszulösen, auf den sich die Akteure des Hannibal-Netzwerks vorbereiten. Das macht die ganze Sache so gefährlich. Franco A. und die anderen Mitglieder des Hannibal-Netzwerks sind ausgebildete Soldaten, zum Teil sogar Elitesoldaten, die zum Kämpfen ausgebildet sind und Zugang zu Waffen haben. Franco A. ist also kein Einzeltäter, sondern Teil eines Netzwerks.

Wie lässt sich von diesen Fakten eine Verbindung zur „Hermannsschlacht“ herstellen?

„Die Hermannsschlacht“ als Stück ist zutiefst nationalistisch und war von Kleist möglicherweise auch genauso, nämlich als Auflehnung gegen die Napoleonische Besetzung gemeint. Es ist ein sehr schwieriges Stück, das derzeit kaum noch inszeniert wird, auch weil man damit schnell in ein braunes Fahrwasser gerät. Unser Ansatz ist, dass da ein tief verwurzelter deutscher Mythos mitsamt den im Stück beschriebenen Taktiken vom Rechtsextremismus aufgenommen wird.

Wie werden Sie die Szenen aus der „Hermannsschlacht“ mit den Ergebnissen der Recherche verbinden?

Die Grundsituation ist sehr einfach: Wir gehen davon aus, dass Franco A. sich dieses Stück ansieht und Teil seiner Handlung wird. Er träumt sich da rein, übernimmt quasi die Vorgaben von Hermann und versucht die umzusetzen und scheitert letztlich daran. Die Identitäten von Franco A. und Hermann vermischen sich zunehmend und die Erzählungen verbinden sich zu einer einzigen Geschichte.

Sind die Taktiken, die Kleist beschreibt, bisher im rechten Spektrum nicht angewendet worden?

Nein. Am ehesten vielleicht von Anders Breivik , der 2011 mit seinem Terroranschlag strategisch einen Teil der fortschrittlichen Jugend zu töten versucht hat. Man kann die „Hermannsschlacht“ wie eine Inspiration für Franco A. verstehen. Wie hier mit Fake News gegen die Römer Front gemacht wird, mit Lügen und Aufhetzung, wie Hermann gegen die eigenen Leute vorgeht, um ein strategisches Ziel zu erreichen, dass er als vermeintlicher syrischer Flüchtling diese Anschläge begehen wollte, die dann dieser Tarnidentität zugeschrieben worden wären, all das ist neu für die rechtsextremistische Szene in Deutschland.

Welche Anschläge hat Franco A. konkret geplant?

Es gibt diverse Listen von ihm, auf denen Namen von Politikerinnen und Politikern und Personen des öffentlichen Lebens stehen. Er hat die Vorsitzende der Amadeu Antonio-Stiftung, Anetta Kahane ausgespäht, hat in der Tiefgarage der Stiftung fotografiert, die nicht öffentlich zugänglich ist, hat danach Schießübungen gemacht und sein Gewehr präpariert. Darin sieht der Bundesgerichtshof einen Kausalzusammenhang, der zu einem Anschlag hätte führen sollen.

Ist es nicht mehr als verwunderlich, dass er als syrischer Asylbewerber überhaupt akzeptiert wurde?

Ich wollte diesen Fall von Beginn an auf die Bühne bringen, auch weil es diese theatrale Komponente vom Verkleiden und Vorspielen dabei gibt. Franco A. hat sich braune Schminke ins Gesicht geschmiert, hat sich verkleidet, ist in eine Erstaufnahmeeinrichtung gegangen und hat sich, ohne Arabisch zu können, als syrischer Flüchtling ausgegeben. Ihm wurde nicht nur Glauben geschenkt, er hat eineinhalb Jahre unter dieser Doppelidentität gelebt, während er gleichzeitig in seiner Kaserne stationiert war. Franco A. wollte dann als anerkannter syrischer Flüchtling Anschläge begehen. Er hatte auch notiert, dass ein Asylbewerber eine Handgranate auf eine Antifa-Gruppe werfen sollte. Diese Anschläge sollten also alle unter falscher Flagge begangen werden, um das öffentliche Klima anzuheizen.

„Francos Hermannsschlacht“ (AT) | R: Janosch Roloff | 23. - 26.1. 18 Uhr, 29.1. - 1.2. 20 Uhr | Orangerie-Theater | 0221 952 27 08

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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