Die Initiative Housing First hat sich international als wirkungsvolles Instrument zur Reduzierung von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit in den Metropolen erwiesen. Dabei steht die unmittelbare Wohnungsvermittlung unabhängig vom jeweiligen Berufsstatus oder gesundheitlicher Probleme im Fokus. In Köln fungiert der Vringstreff e.V. als Vermittler. Künstler Peter Mück erweiterte die Idee zum Housing First Art mit Kunst-Spenden für die Wohnungsausstattung. choices sprach mit Mück, Vringstreff-Geschäftsführerin Jutta Eggeling und Programmteilnehmer Joe (Name von der Redaktion geändert), der zeitweise obdachlos war, über die Verflechtung von sozialem Engagement und Kunst.
choices: Joe, wie sind Sie in die Obdachlosigkeit geraten?
Joe: Das war vor ungefähr zwei Jahren. Ich hatte Probleme mit dem Vermieter. Dabei schien es sich um etwas Persönliches zu handeln. Ich passte ihm wohl nicht. Vor lauter Verzweiflung bin ich in die Parteizentrale der Grünen am Ebertplatz gegangen. Dort hat man mir im Arbeitskreis Soziales geholfen. Da kam ich erstmals mit Housing First in Berührung.
Wie lange waren sie ohne festen Wohnsitz?
Ungefähr 14 Monate.
Wo sind Sie in dieser Zeit untergekommen?
Zunächst bei meiner Freundin, später in Notaufnahmen. Aber das hat nicht funktioniert. Man ist dort der Macht und Willkür anderer ausgeliefert. Irgendwann bin ich auf der Straße gelandet.
Wie kam es dann zur Wohnungsvermittlung?
Ich war auch im Bundesbüro der Linken. Dort hat man mich telefonisch an Kai Hauprich vermittelt, den Projektleiter für Housing First in Köln. Dadurch bekam ich schnell ein Zimmer vermittelt. Das war aber eine Messi-Wohnung, für die die Stadt viel Geld bezahlt. Jetzt habe ich eine neue Wohnung, die fantastisch ist.
Frau Eggeling, Wie weit sind wir in Deutschland oder auch speziell in Köln mit Housing First?
Jutta Eggeling: Wir sind auf dem Weg. Aus den einzelnen Initiativen hat sich ein Bundesvorstand gegründet. Darin sind Vertreter:innen aus circa 20 Kommunen. In Köln gab es zur Programmförderung einen Ratsbeschluss, der den Vringstreff, den Sozialdienst Katholischer Männer und den Sozialdienst Katholischer Frauen als Gemeinschaftsprojekt berücksichtig.
Wie viele Wohnungen konnten bisher übergeben werden?
14 (Stand: 7.10., Anm. d. Verf.). Der Vringstreff hat drei eigene Wohnungen gekauft. Wir haben damit bewiesen, dass dies möglich ist, obwohl uns viel Skepsis entgegengebracht wurde.
Warum die Vorbehalte?
Man traute den Leuten nicht die Verantwortung zu, ihren Haushalt zu führen und wertschätzend mit den Immobilien umzugehen. Das hat sich nachweislich nicht bestätigt. Im Gegenteil.
Wie finanzieren Sie das Projekt?
Wir haben Unterstützungen aus dem Housing-First-Fonds erhalten, der vom Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW und dem fiftyfifty Asphalt e.V. verwaltet wird. Das sind Zuschüsse in Höhe von 20 Prozent. Dazu kamen Spenden von der Bethe Stiftung oder der Arche für Obdachlose. Wir mussten aber auch eigene Kredite aufnehmen.
Wer stellt Ihnen die Wohnungen zur Verfügung?
Die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH. Dort war man von der Idee direkt begeistert. Die Immobilien sind in einem super Zustand.
Wie können betroffene Menschen oder Unterstützer:innen mit Ihnen in Kontakt treten?
Die Leute können sich einfach hier im Vringstreff melden.
Herr Mück, wie wohl fühlen Sie sich eigentlich in ihrer Wohnung?
Peter Mück: Sehr wohl. Ich lebe schließlich im Kulturmekka.
Welchen Stellenwert nehmen dabei Kunstobjekte in Ihrer Privatsphäre ein?
Meine Wohnung ähnelt mehr einer Galerie. Die Kunst spielt die erste Geige. Kunst und Leben verschmelzen hier zu einer Einheit.
Sie stellen eigene Werke für bisher obdachlose Menschen bei deren Einzug in die neuen Räumlichkeiten zur Verfügung. Wie kam es zur Idee?
Ich habe bisher immer nur gespendet, beispielsweise bei der Notaufnahmestelle Gulliver am Kölner Hauptbahnhof. Durch das Projekt Housing First lerne ich die Leute besser kennen. Es ist dann nicht mehr so anonym.
Joe, mal ehrlich, wollen Sie diese Arbeiten überhaupt, oder ist das ein Zugeständnis, das sie als neuer Wohnungsbesitzer aus Höflichkeit machen?
Joe: Ja, ich will! Früher hieß es, bloß nichts mit der Wohnung machen, weil du irgendwann ja wieder raus musst. Hier kann ich jetzt alt werden. Da will ich nicht ein Bild von Ikea, das jeder an der Wand hat. Das hier ist Kunst. Ein Mensch hat das für mich gemacht. Wow! Die Kunst gehört zum Leben dazu. Außerdem konnte ich mir die Bilder, die mir am besten gefielen, aussuchen.
Wo kommen die Arbeiten hin?
Ins Wohnzimmer natürlich, wo jeder sie sehen kann.
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