Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.560 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Zusammenhänge sehen
Cartoon: Holtschulte

Heuchle dir die Welt gut

30. November 2017

Der ethisch-ökologische Lebenswandel ist selbst Konsumgut – THEMA 12/17 PRIMA KLIMA

Die Industrie hat das Potenzial der Menschen, die die Sehnsucht nach einer besseren, gerechteren, saubereren Welt in sich tragen schon lange erkannt. Und was hat es nicht schon alles gegeben? Bier trinken für den Erhalt des Regenwalds, Brot essen für die Dritte Welt, das Sozialbankkonto für die Krötenwanderung. Wir kaufen fair ein, leben bio und fahren öko. Die Fassade des neuen Konsumbewusstseins ist schick, doch der Putz ist nicht nachhaltig und bröckelt. Hinter den Rissen sehen wir – wenn wir denn hinschauen und ehrlich sind – ganz deutlich die alte schmutzige Konsumwirtschaft.

Die Sehnsucht der Menschen ist von der Industrie einfach bedient, denn die Konsumenten fordern ja bloß saubere Produkte statt einen ökologischen Kreislauf. Das liegt auch daran, dass der einst als alternativ konzipierte Lebensstil der sogenannten Lohas (Life of Health and Sustainability = gesunder und nachhaltiger Lebensstil) schon lange eine hippe Modeerscheinung ist. Der ethisch-ökologisch korrekte Lebenswandel ist selbst Produkt und Konsumgut.

Images, die für eine diffuse Sehnsuchtsbedienung stehen, sind alles. Selbst die grünen Vorreiter sind mittlerweile Zeitgeist-Opportunisten, die subtil das postindustrielle Produkt Gesinnung verkaufen. Es läuft, wie an der Fleischtheke: Ein paar Gramm Askese hier, ein halbes Pfund Hedonismus da, ein paar Scheibchen links-alternativ und – darf’s noch etwas mehr sein? Ja gerne! – noch ein Schälchen Werteverbundenheit. Dass so keine Probleme gelöst, kein ökologischer Fußabdruck je kleiner werden wird, ist Resultat einer brutalen Vereinfachung des Problembewusstseins: Tut dieses, kauft jenes, und die Welt wird ein Stückchen besser. Es wäre wirklich schön, wenn wir uns die Welt gut konsumieren könnten.

Aber dann, wenn es drauf ankäme, beispielsweise bei Wahlen, lassen wir es lieber bleiben, uns ernsthaft den Problemen der heutigen Zeit zu stellen und Konsequenzen zu ziehen. Wenn es auch nur ein bisschen Richtung Lebensstilwandel geht, wenn auch nur die schwachsinnigste Gewohnheit aufgegeben und ein bisschen Verzicht geübt werden soll, drehen die wichtigsten Meinungsakteure gleich durch. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit, den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013, macht es deutlich. Als die Grünen damals einen(!) Veggie-Day pro Woche in öffentlichen Kantinen forderten, brach gleich eine „Ökodiktatur“-Debatte aus. Von den Schlagzeilen der Bild bis ins Feuilleton von FAZ und Zeit war der Aufschrei über den Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte riesig groß und krawallig zugleich. Die Grünen holten sich eine blutige Nase in Form eines schlechten Wahlergebnisses und gleich war klar: Die Eroberung gesellschaftlicher Mehrheiten für eine Politik des etwas weniger idiotischen Wirtschaftens wird damit nicht einfacher werden. Der gerade vergangene Wahlkampf bestätigt den Eindruck nur. Alles, was irgendwie auch nur im Verdacht stand in Richtung Umwelt bevormundend zu wirken, wurde aus dem Wahlprogramm entsorgt oder gar nicht erst aufgenommen.

Diese demütige Haltung ist aber grundfalsch. Sie bestätigt nur die Medien-Mär, wonach im Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Kräften, die ökologisch Orientierten mit Abstand die größten Spaßbremsen seien. Empirisch ist das natürlich vollkommener Blödsinn. In Gesetze gegossene Ver- und Gebote gehören zum Handwerkszeug aller deutschen Parteien und Lobbys. Im Bereich Denkmalschutz, Brandschutz oder Gesundheitsschutz können diese weit in die individuelle Freiheit (z.B. Rauchen) eingreifen, was von der deutschen Gesellschaft breit akzeptiert wird. Auch ökologische Verbote sind natürlich akzeptiert, geht es beispielsweise um das Verbot, seinen alten Kühlschrank im Wald abzustellen oder den Ölwechsel über einem Gully zu machen. Niemand käme auf die Idee, diese Einschnitte in individuelle Freiheitsrechte seien unzumutbar.

Es kommt in Deutschland bei Ge- und Verboten eher darauf an, welcher Bevölkerungsgruppe ein Verbot droht, und ob diese zu den Meinungsmachern gehört. Wird Hartz-IV-Empfängern beispielsweise verboten, die wichtigen Ersparnisse zu behalten, bleiben Bild und bürgerliches Feuilleton still. Dann spricht man lieber von der Bringschuld des Einzelnen statt vom Kontrollwahn des Staates. Geht es aber um das Verbot der Glühbirne im schicken Altbau, schwingt sogleich die Öko-Diktatur Keule.

Sorry, lieber Regenwald, aber so viel Bigotterie kann man sich gar nicht schön saufen.


Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

umweltbundesamt.de | Die zentrale Umweltbehörde, die die Regierung mit wissenschaftlicher Expertise versorgt und auch für Bürger viele Infos anbietet.
klimafolgenonline.com | Auf Basis verschiedener Parameter hier Folgen des Klimawandels für Deutschland nachvollzogen und simuliert werden.
reset.org | Das Portal verbreitet digital basierte Innovationen, die zur Nachhaltigkeit menschlichen Lebens und Konsums beitragen.

Wie wollen wir (über)leben: Was machen Sie persönlich im Alltag anders?
Klimaschutz am Küchentisch? Zukunft jetzt!
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.

Bernhard Krebs

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Challengers – Rivalen

Lesen Sie dazu auch:

Soziale Vision der Wärmewende
Konferenz in Bocklemünd – Spezial 10/23

Waffe Mensch
nö Theater in der Stadthalle Köln – Theater am Rhein 10/23

Klimarettung in der Domstadt
Die 2. Porzer Klimawoche – Spezial 09/23

Alle Hebel in Bewegung setzen
Arsch huh, Zäng ussenander und Fridays for Future beim Gamescom City Festival – Spezial 09/23

Klimaschutz made in Europe
Podiumsgespräch im Domforum – Spezial 04/23

Grimmige Entschlossenheit und Volksfeststimmung
Demo gegen die Räumung von Lützerath – Spezial 01/23

„Wir werden uns der Abbagerung in den Weg stellen“
Linda Kastrup über die geplanten Klima-Proteste in Lützerath – Spezial 01/23

„Das Fahrrad ist der Schlüssel“
Ute Symanski über Radkomm und den Talk mit Katja Diehl – Interview 03/22

„Natur in den urbanen Raum bringen’’
Sascha Rühlinger und Simon Nijmeijer über Tiny Forests – Interview 02/22

Drängende Forderungen
Kölner Klimastreik am 24. September – Spezial 10/21

Krisen im Doppelpack
Klima-Talk bei Urbane Künste Ruhr – Spezial 04/21

Die Krise macht kreativ
Globaler Klimastreik in Köln mit 2.500 Menschen – Spezial 03/21

Leitartikel

Hier erscheint die Aufforderung!