Ziemlich ratlos blickt sich das Ensemble an. Im Publikum herrscht gespannte Stille. Worüber reden wir hier? Was wollen wir bezwecken mit unserer Musik, fragen sich die Musiker rund um Improvisationskünstler Mattin. Mitten in ihrer Perfomance machen sie plötzlich eine Pause, um über ihr Tun zu reflektieren. Mit seinen politisch aufgeladenen Noise-Experimenten war Mattin dieses Jahr schon auf der Documenta zu sehen. Am Donnerstag eröffnete er das Festival „Digging the Global South“ zur Pluriversale VII im Stadtgarten. Düster-bedrohliches Rauschen wechselt sich ab mit abrupten und fast jazzigen Schocks, die Mattin als Erzähler begleitet. In den sieben Songs erzählt er die Geschichte der russischen Revolution nach und verbindet diese mit gesellschaftlichen Missständen und Vorwürfen an unsere Zeit. Bis zu besagter Pause. Zu einem Ergebnis kommen die sieben Musiker bei der Diskussion nicht. Unangenehmes Schweigen beherrscht die Szenerie. Was hier ausgestellt wird, ist eine Ratlosigkeit, die ebenso das Publikum ergriffen zu haben scheint. Fast verschüchtert wirkt der Applaus am Ende des Eröffnungskonzertes, welches zwischen den einzelnen Songs ausgeblieben war.
Viel hatte man sich vorgenommen für drei Tage „Digging the Global South“. Elektronische Musik von Künstlern aus Afrika oder solchen mit afrikanischen Wurzeln und Einflüssen wird immer relevanter, auch in den westlichen Musikszenen. Das Festival zeigte sich mit den Auftritten von Künstlern wie Moor Mother, Lukas Ligeti, Rough Americana oder FAKA auf der Höhe der Zeit. Auf der anderen Seite wurde diese Entwicklung hinterfragt und reflektiert. Es wurde gefragt nach der Warenförmigkeit dieser Musik, der Ausschlachtung eines kapitalistischen Exotismus in Zeiten von zunehmenden Hegemoniebestrebungen und Erfolgen der neuen Rechten. Zu diesem Zweck war das Festival nicht nur der Musik, sondern ebenso sehr der Diskussion verpflichtet. Der Professor für kritische Theorie Benjamin Noys fand ebenso viel Raum für sein Essay über „Accelarationism“ wie Musiker Luka Guindo mit seinem Synthie-Pop.
Das alles unter einen Hut zu kriegen, ist keine leichte Aufgabe. Kurator Michael Gläser gab sich alle Mühe dabei, die Elemente zu verbinden und zu moderieren. Und tatsächlich konnte man einige interessante Ideen und künstlerische Ansätze bestaunen. Der zornig wummernde Auftritt von Moor Mother und die energetische und spielfreudige Performance von FAKA waren dabei die musikalischen Highlights. Auch die Einführung von Michael Bird, der mit seinen Field Recordings Aufnahmen von klassischen Instrumenten in Afrika sammelt, konnte man mit viel Gewinn zuhören. Oft blieben die losen Enden und Assoziationen der Vorträge und Darbietungen allerdings unverbunden. Zeitprobleme zwangen Rough Americana, ihren Auftritt nach knapp 10 Minuten zu beenden. Auch Benjamin Noys schaffte es nicht in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, seinen Standpunkt über die Entwicklung und Verwicklung von Musik und Politik anschaulich zu machen. Den roten Faden vermisste man trotz vieler interessanter Assoziationen und Ideen allzu häufig.
Afrikanische und experimentelle Musik, kapitalistische Produktionsbedingungen, Exotismus, Identität, kulturelle Aneignung: Es war ein komplexes und weites Feld, das sich am Wochenende über das Stadtgarten-Gelände ausbreitete. „Digging the Global South“ lieferte einen gehaltvollen Einblick in die Diskurse rund um diese Themen. Viel mehr kann man eigentlich nicht verlangen. Doch um der Sache etwas von ihrer Sperrigkeit und Zähheit zu nehmen, sollte man sich vielleicht mehr an Moor Mother halten, die als einzige bei der Eröffnungsdiskussion spontanen Beifall erntete, als sie in aller Lakonie sagte: „I just love making strange sounds.“ Amen.
Das Festival war eine Kooperation der Akademie der Künste der Welt mit dem Stadtgarten. Die Akademie wendet sich heute in einem offenen Brief gegen die vom Finanzausschuss der Stadt beantragte Kürzung des bereits eingeplanten Betriebskostenzuschusses für 2018 um 40 Prozent. „Die Beschlussvorlage von CDU, FDP, Grünen und der Ratsgruppe GUT ist völlig unverständlich und trifft uns gänzlich unvorbereitet“, heißt es in der Mitteilung. Über den Antrag wird am morgigen Dienstag im Stadtrat entschieden.
Akademie der Künste der Welt: Pluriversale VII | bis 10.12. | Programm | Offener Brief
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