Übriggebliebene ausgereifte Haltungen
Deutschland 2007, Laufzeit: 90 Min.
Regie: Peter Ott
Darsteller: Julius Block, Schorsch Kamerun, Ted Gaier, Enno Palluca, Mense Reents
Die Geschichte der Punkband Die Goldenen Zitronen vom Fun-Punk zum komplexen und selbstreflexiven Musikprojekt mit politischem Anspruch.
Die Goldenen Zitronen hatten Ende der 80er Jahre den stumpfsinnigen Fun Punk-Zirkus satt und verließen den Weg, auf dem die Toten Hosen mit schnauzbärtigen Fans ins Rockstadion zogen. Stattdessen entwickelte sich aus ständiger Hinterfragung und politischem Anspruch ein immer spannenderes musikalisches Gemisch mit pointierten Kommentaren zur Zeit. So reich an Materialien wie die Musik gibt sich auch der Film, der dem zeitgenössischen Bild der Band von den Bravo-Boys zu den Diskurs-Punkern nachspürt: Konzertaufnahmen, Videos und Studioaufnahmen von Songs gehen ein dialektisches Spiel ein, Diskussionen in und über die Band treffen aufeinander, Zitate werden rezitiert. Dass sich Filmemacher und Band zwar freundlich, aber auch misstrauisch gegenüberstehen, kommt der Dokumentation, in der weder bejubelt noch demontiert wird, zugute.
Gespräch zum Film: Übriggebliebene ausgereifte Haltungen
„LONELY OLD SLOGANS“
PETER OTT ÜBER „ÜBRIGGEBLIEBENE AUSGEREIFTE HALTUNGEN“
Peter Ott, Jahrgang 1966, hat visuelle Kommunikation studiert. Er ist Filmemacher („Hölle Hamburg“), Filmproduzent und Musiker beim Schabinggrad Quartett. Seit 2007 ist er außerdem Professor für Film und Video an der Merz-Akademie.
choices: Herr Ott, im Interview mit Schorsch Kamerun erfuhr ich seinerzeit, wie scheiße die Band die Tournee-Doku „Golden Lemons“ fand. Geht man vorsichtiger an einen solchen Film heran, wenn man vorher schon Kritik erwartet?
Peter Ott: Mein Film hat ja einen anderen Ausgangspunkt als „Golden Lemons“. Das war mehr ein Freundschaftsprojekt, da liegen die Fallstricke woanders. Die Zitronen wollten eine DVD rausbringen, und ich sollte das ganze historische Material, das es gibt, zusammenschneiden. Ich habe gesagt, wie viel Geld ich dafür brauche, das war dem Label aber zu viel. Dann habe ich mir das Geld selber besorgt, und so ist das eben mein Projekt geworden. Da musste ich dann wieder aufpassen, dass das nicht zu einer Biografie verkommt, mit der ich nur Blumensträuße verteile. Außerdem geht es ja um so etwas wie Geschichtsschreibung, da könnte der Zuschauer hinterher denken: „So war das!“, wie man das jetzt vielleicht bei dem Baader-Meinhof-Film denkt. Aber die Geschichte wird ja immer von den Siegern geschrieben
choices: Der Film scheint mit seinen verschiedenen Materialebenen das selbstreflexive Moment der Goldenen Zitronen zu spiegeln
Peter Ott: Der ganze Film ist eher eine mediale Historiografie, es geht um die Geschichte der medialen Aufzeichnung. Bei den frühen Konzertaufnahmen ist z.B. der Ton nach normalem Verständnis teilweise totaler Murks, weil das Signal übersteuert ist. Das hätte ich mit etwas Arbeit neu unterlegen können. Es wäre aber falsch gewesen, weil der Film an einer Wahrhaftigkeit des Signals klebt – und das ist an der Stelle eben kaputt.
choices: Sie würden also sagen, es gibt so etwas wie das Authentische?
Peter Ott: Ja klar gibt es das als Konvention, aber das ist nicht wertfrei. Die Frage ist ja, warum man das so macht. Der ganze Film ist getragen von einem gewissen Misstrauen, vor allem gegenüber dem Popuniversum, und fragt, warum zeigen die sich so und warum interessieren sich die Medien für dieses oder jenes. Authentisch ist nicht die Abbildung des Rockmusikers als Mensch hinter dem Image. Authentizität, die mich interessiert, gibt es nur auf der Ebene des Signals, und in der Spur seiner Modulation und Verstärkung bildet sich "Rockmusik" authentisch ab. Deshalb eben auch die verzerrten Liveaufnahmen.
choices: Man merkt auch der Band im Film ein großes Misstrauen an. Wie nah haben die Sie nach der negativen Erfahrung mit „Golden Lemons“ an sich heran gelassen?
Peter Ott: Wenn man Fragen stellt und konkrete Antworten erwartet, können eben Konflikte auftreten. Aber es war ja weder mein Bestreben, die Goldenen Zitronen zu entlarven noch sie zu verherrlichen. Und ich wollte eben auch keinen Blick hinter die Kulissen liefern. So ein Künstlerportrait mache ich ja eigentlich nicht. Beim Schnitt gabs dann teilweise berechtigte Einwände der Band, denen ich entsprochen habe, und teilweise einfach verschiedene Ansichten, auch innerhalb der Band. Da konnte ich die gegeneinander ausspielen (lacht). Es gab dann noch lange Diskussionen wegen des Titels ...
choices: wer hat sich durchgesetzt?
Peter Ott: Ich (lacht). Der ist von mir, und den fanden eigentlich alle blöd. Der Titel ist eine verkorkste Übersetzung eines Gemäldes von Daniel Richter– „Lonely Old Slogan“.
(Kritik und Interview: Christian Meyer)
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