First Cow
USA 2020, Laufzeit: 122 Min., FSK 6
Regie: Kelly Reichardt
Darsteller: John Magaro, Orion Lee, Toby Jones
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Ruhiger Western mit egalitärem Blick
Einen Unterschied machen
„First Cow“ von Kelly Reichardt
Ein Western ohne Schießerei. Kaum Pferde. Keine Angriffe der indigenen Bevölkerung auf Siedler. Auch keine Prärie, kein Monument Valley. „First Cow“ ist der siebte Filme der US-amerikanischen Drehbuchautorin und Regisseurin Kelly Reichardt und es ist ihr zweiter Western: Der schüchterne Otis Figowitz alias Cookie (John Magaro, „The Umbrella Adacemy“) wird als Koch von einer Gruppe Biberjägern herumkommandiert. In der nächsten Siedlung trennt sich Cookie von dem Trupp. Im Saloon trifft er wieder auf den flüchtigen Japaner King-Lu (Orion Lee), den er kurz zuvor in den Wäldern Oregons sowohl vor einer Gruppe Russen, die ihn umbringen wollen, als auch vor seiner eigenen Gruppe versteckt hatte. Die beiden freunden sich an, Cookie nistet sich in King-Lus Hütte ein. Er fegt den Boden, stellt Blumen in eine Flasche, kocht und backt. King-Lu, immer auf der Suche nach einer Geschäftsidee, ist begeistert von Cookies Talent und möchte dessen leckere Backwaren auf dem Markt anbieten. Mit etwas Milch, die sie nachts der Kuh des hiesigen Grundbesitzers Chief Factor (Toby Jones) klauen, wird das süße Gebäck schnell der Renner. Die beiden Freunde kommen rasch zu Geld und schmieden bereits neue Pläne, wie sie in ein Hotel in San Francisco investieren können, da kommt ihnen der Chief auf die Schliche und ihr Milchklau fliegt auf. Die beiden müssen fliehen.
Das klingt, als wäre das Finale actiongeladen, und tatsächlich beschleunigt der Film ein wenig. Doch der Ausgangspunkt von „First Cow“ ist beinahe meditatives Slow Cinema. Schlägereien finden nur im Bildhintergrund oder entfernt, halb verdeckt von Wänden oder Planen statt. Gewalt ist als latente Bedrohung stets spürbar, bricht aber kaum aus und bricht vor allem nicht über unsere im Vergleich recht zarten Helden herein. Die wirken beinahe feminin in dieser Männerwelt, in der Frauen anders als in Reichardts bisherigen, prominent mit Laura Dern, Kristen Steward, Zoe Kazan, Dakota Fanning und mehrmals Michelle Williams besetzten Filmen – „Wendy and Lucy“, „Meek's Cutoff“, „Night Moves“ oder „Certain Women“ – kaum auftauchen. Zumindest nicht als ausformulierte Charaktere. Es ist aber auffallend, dass die Kamera sehr häufig an scheinbaren Nebensächlichkeiten, Gestalten und Gesichtern haftet, die man im Filmbetrieb gemeinhin Statisten nennen würde. Dafür schenkt ihnen die Kamera von Christopher Blauvelt, der schon mit Sofia Coppola, Gus van Sant oder Jonah Hill gedreht hat, zu viel Aufmerksamkeit: Ein griesgrämiger Alter, ein kleines indigenes Mädchen, ein Baby. In einer ganz kurzen, wunderschönen Szene lassen sich zwei indigene Frauen fröhlich auf ein Sofa plumpsen, als die Männer, die gerade über die abschreckende Wirkung der Bestrafung von Sklaven gefachsimpelt haben, das Zimmer verlassen – endlich! Die eine arbeitet für den Großgrundbesitzer und ist in westlicher Art gekleidet, die andere lebt noch traditionell mit ihrem Stamm – aber ihre Bande ist anscheinend nicht getrennt. Der natürliche Zuschauerreflex lässt einen glauben, diese Figuren würden eine bedeutendere Rolle im Film spielen, vielleicht später noch einmal auftauchen, sogar für Unheil sorgen. Neben den wachsenden Befürchtungen durch die nächtlichen Milch-Raubzüge sorgen diese kleinen Abschweifungen für eine latente Anspannung im Film.
Dabei ist diese Fokussierung auf die Ränder der Geschichte wie auch der Geschichtsschreibung – zum Beispiel des ‚Wilden Westens‘ – eine ausgesprochen egalitäre Perspektive, die an die inszenierte, dem Kino verwandte Fotografie eines Jeff Wall erinnert, in der jedes kleine Detail wie in einem Filmstill Bedeutung erlangt, weil sich Wall ganz auf einen Zeitpunkt konzentriert, Reichardt friert die Zeit nicht ein, scheint sie in ihren ruhigen Filmen aber zu dehnen. Wie bei Wall hat man auch in „First Cow“ das Gefühl, dass alles wichtig ist, alles einen Unterschied macht. Auch Cookie und King-Lu – in einem klassischen Western wären sie höchstens drollige Sidekicks – machen in Reichardts warmherziger, von Gewalt auf komische Art befreiten, aber nicht naiv verklärten Welt einen kleinen, leisen Unterschied. Ganz so wie der Honig und die Milch in ihrem Gebäck.
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