Ein Abend im Stadtgarten. „Souls’ Landscapes“ von Uriel Barthélémi verbindet Musik, Bewegung und Schatten. Der Schlagzeuger und Komponist untersucht die verschiedenen Sichtweisen von Performern auf das Denken Frantz Fanons, der mit seinem Buch „Die Verdammten dieser Erde“ eine fundamentale Anklage gegen das Kolonialsystem vorgelegt hat. Dessen Verständnis von Gewalt und magischem Überbau drängt in der lebendigen Begegnung und in der körperlichen Analyse die Performer ununterbrochen dazu, die eigenen Grenzen vor der dunklen Prophezeiung Fanons zu überschreiten (Fr 7.10., 20.30 Uhr).
Seit 2012 ist die Akademie der Künste der Welt ein loses virtuelles Kollektiv von Kulturschaffenden. Hier tummeln sich bildende Künstler, Musiker, Tänzer, Autoren, Filmemachern und Kuratoren verschiedener Kontinente auf einer gemeinsamen Produktionsplattform. Schau‘n wir mal. Das Label „Urban War Stories“ läuft noch bis Mitte November. Dann ist Winter und kalt und Mareike Theile und Dominik Müller, beide Theaterwissenschaftler und in der freien Szene aktiv, möchten bei performativen Stadtführungen nicht mehr draußen arbeiten. Ihr Thema ist der Krieg, und Köln ist immer noch eine merklich vom Krieg geprägte Stadt, überstand mittelalterliche Schlachten, aber nicht den Zweiten Weltkrieg. (Beim U-Bahn-Bau sind sich die Historiker noch nicht sicher.) Kriegsflüchtlinge aus aller Welt suchen heute in Köln Zuflucht, und könnte es sein, dass sich ihre Geschichten mit denen der Altvorderen überschneiden? Diesen Fragen gehen die beiden nach (sonntags 15 Uhr ab Academyspace). Das Berliner Künstlerduo Birgit Auf der Lauer und Caspar Pauli arbeiten an der gleichen Problematik. Sie projizieren bei „Grenzfährservice IV“ die Praxis des Menschenschmuggels auf den Ebertplatz, einen zwar autogerechten, aber auch von einer Fußgängerunterführung durchschnittenen, bombenkraterähnlichen Ort. Dort laden sie ihr Publikum zu einer Stadtwanderung ein (Sa/So 16 Uhr), ergänzt durch eine Installation in der Projektgalerie Labor (bis 30.10., Ebertplatzpassage). Werden sie auch hier koloniale Verbindungswege finden?
Wohin man auch schaut, die Urbanität wandelt sich, nicht zugunsten der Menschen, sondern zugunsten des Mehrwerts. In Brasilien wandelt sich die ganze Gesellschaft in ähnlicher Form und wesentlich dramatischer. Die „reaktionäre Wende“ kam dort früher als in Deutschland. Auch das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff und die Posse um ihren Nachfolger ließen das Land nicht zur Ruhe kommen. Der Autor und Kurator Max Jorge Hinderer Cruz aus São Paulo geht im Academyspace der aktuellen Situation auf den Grund, denn nie war das „Privileg zu sprechen“ so umkämpft (Vortrag, Mi 2.11. 19 Uhr).
Wie könnte man kulturelle Unterschiede leichter begreiflich machen als mit dem augenzwinkernden Vergleich über den speziellen Umgang mit Haustieren. Mona Kakanj tut das in ihrer Zweikanal-Videoinstallation „Rat Race“ (Sa 22.10. 19 Uhr, Academyspace). Kurz nach der iranischen Revolution von 1979 ging die Regierung dort rigoros gegen Hundehaltung vor. Danach stieg die Zahl der Haus- und Straßenkatzen drastisch, sie prägen heute das Bild Teherans, während Hunde dort längst ein seltener Anblick sind.
Pluriversale V | bis 16.12. | Academyspace in der Herwarthstraße 3 | Eintritt häufig frei | www.academycologne.org
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