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Ulle Schauws
Foto: DBT/Stella von Saldern

„Eine Einschränkung der Informationsfreiheit“

24. Februar 2019

Grünen-Politikerin Ulle Schauws über die Reform des Paragraphen 219a

choices: Frau Schauws, gerade hat das Bundeskabinett den Kompromiss zum Paragrafen 219a gebilligt. Wie nah ist dieser nun der Umsetzung?
Ulle Schauws: Die Bundesregierung hat damit entschieden, dass der Kompromiss von CDU/CSU und SPD für sie die richtige Lösung ist. Sie hat diesen Vorschlag jetzt in den Bundestag eingebracht. Dort wäre eigentlich eine Mehrheit dafür, den Paragrafen zu streichen: Inzwischen gibt es vier Fraktionen, die die Auffassung vertreten, dass das der angemessene Schritt wäre. Die SPD hatte ja selbst vor dem Kompromiss einen entsprechenden Beschluss gefasst.

Wie bewerten sie den Kompromiss?
Es handelt sich aus meiner Sicht um einen restriktiven Gesetzentwurf. Es ging im Kern der Diskussion um die Frage, ob es Werbung oder Information ist, wenn Ärzt*innen ihre Patientinnen sachlich darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen und mit welcher Methode. Diese Informationen können nicht als anpreisende Werbung gelten. Ich halte allein die Vorstellung, dass Ärzte so „werben“ würden, für absurd, denn das verbietet ihnen schon ihre Berufsordnung. Nun hat sich die Debatte dahin verschoben, dass die Ärzt*innen das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ zwar auf ihrer Homepage erwähnen dürfen, aber keine Informationen darüber bereitstellen dürfen, wie der Abbruch durchgeführt wird. Nur eine Verlinkung zu einer weiteren, von der Bundesregierung festgelegten Homepage, ist erlaubt. Für mich ist das eine Einschränkung der Informationsfreiheit, die Frauen bei jedem anderen Eingriff ganz selbstverständlich nutzen können. Das Vertrauensverhältnis zwischen Patientin und Ärzt*in wird so quasi unterbunden. Nach Ansicht der Grünen drückt dieser Gesetzentwurf vor allem Misstrauen gegenüber Ärzt*innen und Frauen aus. Besonders kritische Stimmen bewerten den Gesetzentwurf der Groko sogar als Verschlechterung. Ärzt*innen werden mit diesem Gesetzestext in ein enges Korsett gepresst. Er drückt schlicht eine Entmündigung aus und den Versuch, Frauen und Ärzt*innen ein Stück weit unter Kontrolle zu halten, indem sie sich nicht frei austauschen können. Das ist in einer Notsituation notwendig. Darum ist das für uns Grüne ein echter Einschnitt in die Berufsfreiheit der Ärzt*innen und in das Selbstbestimmungsrecht der Frauen.

Wie wird sich das Gesetz in der Praxis auswirken?
Die meisten gynäkologischen Praxen führen keine Schwangerschaftsabbrüche durch. Die Zahl der Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, ist sehr zurückgegangen. Aber das ist noch ein ganz anderes Problem. Ungewollt Schwangere recherchieren in der Regel im Internet nach Ärzt*innen, die diese Leistung anbieten. Wenn sie dann eine Praxis gefunden haben,werden sie erstmal auf die allgemeinen Informationen der Bundeszentrale verwiesen. Da erfahren sie alles über die Beratungspflicht und das ganze Prozedere, aber nichts über die Dinge, die man als Patientin von seiner Ärztin wissen will: Wie man sich auf den Termin vorbereitet, was man mitbringen sollte, ob man in Begleitung kommen darf, ob man mit nüchternen Magen kommen muss, und so weiter. Das sind Dinge, die man nur von der Ärzt*in selbst erfahren kann und das ist der Punkt, weswegen der Kompromiss aus meiner Sicht an der Realität vorbeigeht: Wenn man sich die Aussagen von Kristina Hänel, Natascha Nicklas und Nora Szász anhört, dann besteht deren größtes Interesse darin, den Frauen bestmöglich zu helfen und ihnen gute und schnelle Information zur Verfügung zu stellen, die sie in dem Moment brauchen. Und wenn die Entscheidung für einen Abbruch gefallen ist, ihnen dann auch die Informationen zu geben, die in diesem Fall nötig sind. Meines Erachtens ist das größte Problem, dass Frauen unnötig unter (Zeit-)Druck geraten, wenn wesentliche Informationen schwer zu finden sind. Das habe ich in meinen Gesprächen mit den Beratungsstellen angezeigt bekommen. Angst und Unsicherheit entstehen, wenn Informationen von sogenannten Lebensschützer*innen im Netz präsenter sind als sachliche Informationen von Ärzt*innen.

Die Fristenregelung für den Paragraf 218 gilt inzwischen seit gut über 20 Jahren. Wie hat sie sich auf die Situation betroffener Frauen ausgewirkt?
Der Weg zur Fristenlösung war ein langer Prozess, zumindest in der BRD. Im Zuge der Debatte um Paragraf 219a ist auch die Auseinandersetzung um Paragraf 218 wieder hochgekommen. Vielen jungen Männern und Frauen ist gar nicht bewusst, dass der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch steht. Demnach sind Schwangerschaftsabbrüche verboten, durch die Fristenregelung bleiben sie aber in den ersten zwölf Wochen straffrei. Die im Gesetz festgehaltene Pflichtberatung wäre aus meiner Sicht als freiwillige Beratung die bessere Lösung. Sie hat in den vergangenen Jahren soweit funktioniert. Worüber wir aber in der Diskussion alle gestolpert sind, ist die Frage, ob die künftige Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt, denn viele der Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, stehen kurz vor dem Rentenalter. Es wäre wichtig, dass junge Ärzt*innen entsprechende Kenntnisse in ihrer Ausbildung erwerben könnten. Aber bisher ist es einfach nicht Teil der Ausbildung. Stattdessen wird das Wissen in den Praxen von einer Ärzt*in zur nächsten weitergegeben. Das wird auf Dauer ein Problem sein. Die gesundheitliche Versorgungssicherheit sicherzustellen ist eine Staatsaufgabe. Und unserer Meinung nach, gehört der Schwangerschaftsabbruch dazu. Deswegen ist es auch verfassungsrechtlich fraglich, ob der Paragraf 219a so weiterbestehen kann, wenn man einmal kritisch betrachtet, ob er die Versorgungssicherheit verhindert, oder nicht. Wenn Ärzt*innen die Befürchtung haben, dass sie mit einem Bein im Gerichtssaal stehen, wenn sie die nötigen Informationen für einen Eingriff bereit stellen, werden sie es sich gut überlegen, ob sie diese Leistung anbieten oder nicht.

Welche Rolle spielt der Konflikt „Recht auf Leben vs. Selbstbestimmungsrecht“ in der Debatte? Wird er unter Befürwortern einer Liberalisierung noch diskutiert?
Diese Debatte wird seit den 1990ern geführt, in einer sehr harten Auseinandersetzung. Auf der einen Seite haben wir die sogenannten Lebensschützer*innen, von denen viele auch Mitglied der Union sind, die ganz klar sagen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Frau hinter dem Recht auf Leben zurückzustehen hat. Auf der anderen Seite stehen die, die sich für die reproduktiven Rechte und Selbstbestimmung von Frauen stellen. Auch ich setze mich dafür ein, dass Frauen frei von Zwang und Stigmatisierung über ihren Körper entscheiden können.

Wie könnte ein gesetzlicher Rahmen aussehen, der aus ihrer Sicht besser ist, als der Paragraf 219a?
Nach allen Diskussionen ist für uns klar, dass die Streichung von Paragraf 219a der beste Weg wäre. Das ist unser Vorschlag, der von Linken und der FDP geteilt wird. Auch die SPD hat einen einstimmig beschlossenen Gesetzentwurf mit diesem Ziel beschlossen, den sie nun in der Schublade gelassen hat. Es ist absurd zu glauben, dass Frauen sich für einen Abbruch entscheiden, weil sie die Information darüber gesehen haben. Wenn die Koalition den Ärzt*innen nicht vertrauen mag, dann könnte ich mir auch eine Regelung für das Ordnungswidrigkeitsrecht vorstellen. Wichtiger wäre es aus meiner Sicht jedoch, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit anzugehen.


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frauenleben.org | Die Kölner Beratungsstelle bietet Beratung z.B. zu sexualisierter und häuslicher Gewalt.
gesetze-im-internet.de | Die Paragraphen 218+219 im Netz – hier kann man nachlesen, worüber gestritten wird.

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Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.

Interview: Christopher Dröge

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