Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
15 16 17 18 19 20 21
22 23 24 25 26 27 28

12.557 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Mahan Esfahani, ein Zufallsopfer in Köln
Foto: DG/BernhardMusil

Dicker Belag, dicke Hälse

31. März 2016

Bürger rebellierten gegen Neues im Konzert – Klassik am Rhein 04/16

Köln besitzt nicht nur ein Herz für den Karneval, auch Fettnäpfchen liebt der Kölner. Er lässt keines aus. Jetzt hat er eine bisher intensiv gelobte und rein positiv besetzte Nischenkultur beschmutzt: die Neue Musik. Galt das Publikum besonders in der Kölner Philharmonie bisher als sehr begeisterungsfähig, spontan und emotional, so brachen ihm nun vielleicht genau diese Tugenden den Hals. Die Konzertgäste begannen während der Aufführung eines modernen Musikstücks mit Johlen, Lachen, Buhs und allerlei Geräusch, den ausübenden Musiker (der international anerkannte Cembalisten Mahan Esfahani aus dem Iran) akustisch derart zu behelligen, dass der Interpret den Vortrag abbrechen musste. „Wovor haben Sie Angst?“, fragte der ratlose Tastenspieler auf Englisch das aufgebrachte Publikum.

Da war wohl einiges schiefgelaufen, fast so schief wie die dann folgenden Reaktionen. Hetze und braune Gesinnung wurden eilig im Netz unterstellt, ganz Deutschland stürzte sich auf die neuerliche Schlappe in Fragen von Toleranz; Verfall der Sitten und zunehmende Verrohung der Gesellschaft wurden verantwortlich gemacht. Die Political Correctness kotzte sich durch die Gazetten, alle waren entrüstet und ratlos wie nach dem Einsturz des Stadtarchivs. Eine Kölner Tageszeitung brachte sogar eine nachträgliche Einführung in das Corpus delicti, in Werk und Kompositionsstil des Minimal-Komponisten Steve Reich. Wahnsinn.

Was die Entrüsteten wissen sollten: Konzertbesucher suchen Termine immer häufiger nach bequemen Zeiten aus. Ein Sonntagsnachmittags-Konzert wie dieses wirkt wie ein Magnet auf ältere Menschen, die nach einem Mittagessen oder Kaffee und Kuchen mit der Familie ein Konzerterlebnis suchen; und vielleicht noch im Hellen nach Hause kommen können. Gerade die unerfahrenen Neuhörer kennen außer den wenigen Säulenmusikern der Geschichte keine Komponisten, haben keine Orientierung und vermuten in einem Konzert mit dem auftretenden Namen Bach ein „normales“ Konzert. Vor dem „Skandalstück“ lief aber bereits ein ebenfalls mit Minimaltechnik geladenes Cembalo-Konzert, für Neuhörer ein echter Horror, und das Stück eines amerikanischen Avantgardemusikers und Freejazzers. Plus der ausführlichen Einführung durch den Solisten in englischer Sprache ergibt dies für einen Unbedarften eine Folterstrecke, bei der das Fass dann einfach überlaufen kann – aber eigentlich nicht darf. Das gebietet die Höflichkeit gegenüber einer Künstlerpersönlichkeit, von der der Laie allerdings auch nichts ahnt.

Empfohlen seien deshalb zur unbedingt befürworteten Unterbringung von zeitgenössischen Klängen oder Klassikern der Moderne im nicht speziell gekennzeichneten Konzertprogramm weiterhin die beliebten „Sandwich-Konzerte“, bei denen zwischen zwei Leckerchen aus dem klassischen bis romantischen Mainstream-Programm ein meist unbekannter oder für Kenner gefürchteter Name auftaucht. Manchmal sind genau diese Werke der Renner des Konzerts. Das Sandwich bestimmt allein im April acht Konzerte im Kölner Philharmonie-Programm. Dabei sollten die Veranstalter nur darauf achten, dass der Aufschnitt nicht zu dick geschnitten ist. Das war er wohl diesmal in Köln.

Olaf Weiden

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Civil War

Lesen Sie dazu auch:

Orchester der Stardirigenten
London Symphony Orchestra in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 04/24

Blickwechsel in der Musikgeschichte
Drei Spezialisten der Alten Musik in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/24

Bratschen im Fokus
„Violas Go Wild“ in der Kölner Philharmonie – Musik 02/24

Abenteuerliche Installation
„Die Soldaten“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 01/24

„Herrliche Resonantz“
Avi Avital in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/23

Musik aus drei Jahrhunderten
Quatuor Modigliani in der Philharmonie Köln – Klassik am Rhein 11/23

Tod und Auferstehung
„Auferstehungssinfonie“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 09/23

„Von Alt bis Neu wird alles dabei sein“
Mathis Stier über sein Konzert im Rahmen der Reihe Rising Stars in Köln – Interview 08/23

Blut und Tränen
„Lessons in Love and Violence“ in NRW – Klassik an der Ruhr 04/23

Aus grellem Sonnenlicht
Sarah Aristidou in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/23

Alter Hase von jungen Jahren
Jan Lisiecki besucht die Rheinmetropolen – Klassik am Rhein 01/23

Eine ganz besondere Truppe
Ensemble-Geburtstagsfeier in Köln – Musik 09/22

Klassik.

Hier erscheint die Aufforderung!