Die vom Kölner Stadtanzeiger initiierte Gesprächsreihe „Könner in Köln“ fand zuletzt im VHS-Forum des Rautenstrauch-Joest-Museums statt. Zu Gast war am vergangenen Donnerstag Dr. Martin Stankowski, Journalist, Kölner Aktivist und vor allem natürlich auch Kabarettist und Kritiker. Im angeregten Plauderton sinnierte er, angeleitet durch die Fragen der Moderatorin und Stadtanzeiger-Redakteurin Marie-Anne Schlolaut, über Köln an sich, seine politische Prägung und über Schachspiele mit befreundeten Kabarettisten.
Zwischen Selbstbesoffenheit und Zweitklassigkeit
„Zum einen ist das sicherlich die Arroganz, die zum Teil aus einer gewissen Lässigkeit hier kommt, und zum anderen ist das die Kölner Selbstbesoffenheit“, antwortete Martin Stankowski auf die Frage von Schlolaut, was er denn nicht an Köln möge. Angesprochen auf die positiven Aspekte seiner (Wahl-)Heimat, durfte man von einem Kritiker und Kabarettisten sowie einem Stadtführer und Stadthistoriker seines Schlages eine etwas skurrilere Antwort erwarten. Und diese kam dann auch: Er zeigte sich dem Charme einer Autobahnfahrt erlegen, die über die Kölner Schnellstraßen bis zur riesenhaften Industrieanlage nach Wesseling führt – und dies am besten in einer verschneiten Nacht im Winter. „Der Schnee auf Wesselings Lichtern, das ist zusammen mit der Fahrt über den Autobahnring ein schöner Eindruck von Köln.“ Und warum lebt er so gerne in Köln, bekanntlich nicht Deutschlands schönste Stadt? „Ich kann mich hier als zweitklassiger Mensch ganz gut durchmogeln. Köln ist ja auch zweitklassig – fühlt sich aber gerne erstklassig. Mit dieser Mentalität kann ich mich gut anfreunden“, beschreibt es Stankowski sehr zum Amüsement des zahlreich erschienen Publikums.
Neugier als positiver Defekt
Der gebürtige Sauerländer (*1944) ist aber nicht nur ein Publikumsmagnet, sondern auch ein echter Tausendsassa. Trotz Theologie-Studium ist er aus der Kirche frühzeitig ausgetreten, genauso wie bei den Grünen. „Nach dem Beschluss zum Afghanistan-Einsatz war es dann endgültig vorbei“, äußerte sich der überzeugte Pazifist an diesem Abend zu seinem Ausflug ins parteipolitische Engagement. Promoviert hat er über das Thema Linkskatholizismus nach 1945. „Das war gut, hier habe ich eher journalistisch recherchieren müssen, weil es keine Sekundärliteratur zu dem Thema gab“, erzählte er lachend, angesprochen auf die Inhalte seiner Doktorarbeit. Sorgen, irgendwo abgeschrieben zu haben, müsse er sich deswegen also nicht machen.
Zwischendurch war er auch mal zehn Jahre lang Hotelier, war aber immer auch journalistisch und publizistisch tätig. „Neugier ist mein Defizit“, so beschrieb Stankowski die Triebfeder für sein vielseitiges Tun. Nebenher hatte er mal eine Druckerei gegründet, war und ist Stadtführer der besonderen Art und natürlich Kabarettist. Gut ist er mit Jürgen Becker befreundet, mit dem er nicht nur drei Mal wöchentlich ins Schwimmbad geht, sondern sich auch zum Schachspielen trifft. „Jürgen will nach den Auftritten meist wieder nach Köln zurück, dann ruft er mich an gerne spät noch an und wir verabreden uns zum Schachspielen. Das ist immer ganz beruhigend. Wir spielen immer zwei Spiele, damit jeder einmal gewinnen kann.“
Schachspiel, Schwimmbad, Linkskatholizismus
Mit Becker hat er auch das Programm „Biotop für Bekloppte“ miterarbeitet. Hierfür waren auch die wöchentlichen Ausflüge ins Schwimmbad förderlich. „Jürgen Becker wird durchaus öfters von Menschen im Schwimmbad angesprochen. Meistens wollen ihm die Leute einen Witz erzählen, die sich Jürgen auch geduldig anhört – er sagt immer: Jeder zwanzigste geht.“ Geprägt für sein generelles politisches und soziales Engagement auf verschiedenen Ebenen hat ihn vor allem die Erziehung seines Vaters. „Mein Vater selbst war immer ein katholischer Pazifist, er hat mich immer zum Engagement für mein Umfeld erzogen und angeleitet.“
Bekloppt, aber engagiert
Bereits 1983 initiierte der Alt-68er Stankowski beispielsweise das Köln-Archiv, eine Sammlung von Dokumenten und Materialien zur Protestbewegung Kölns nach 1945. Momentan befasst er sich unter anderem mit einem speziellen Aspekt der Kölner Stadtgeschichte. „Mir geht es dabei um ein anderes Paradigma von Stadtgeschichte. Es soll nicht chronologisch geordnet sein, hierbei geht es vielmehr um die Frage, wie Mehr- und Minderheiten dargestellt wurden, aber auch, wie sie sich selber dargestellt haben. Unter diesem Gesichtspunkt würde ich gerne die jüdische Geschichte in Köln näher beleuchten“, sagte er zu seinen neueren Köln-bezogenen Projekten. Mit seinen Anekdoten rund um die Stadt Köln, deren Geschichte und Persönlichkeiten zeigte er an diesem Abend aber auch vor allem eins: Er liebt diese Stadt. Vielleicht rührt trotz allem (berechtigten) Spott auch daher der Wille zum Engagement?
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