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Leyla Bouzid zu Gast im Filmforum

Das neue Tunesien

16. September 2016

„Kaum öffne ich die Augen“ im Filmforum – Foyer 09/16

Donnerstag, 15. September: Bereits zum 14. Mal werden in der Domstadt vom 15. bis 25. September 2016 neue Filme aus Afrika präsentiert, die es ansonsten schwer hätten, in Deutschland einen Distributionsweg zu finden. Das vom FilmInitiativ Köln e.V. veranstaltete Afrika-Film-Festival präsentiert an elf Festivaltagen und an fünf verschiedenen Locations insgesamt mehr als 80 Filme und begrüßt 30 FilmemacherInnen, die ihre Werke vor Ort persönlich vorstellen. Zur Eröffnung des Festivals konnte man sich im Foyer des Filmforums wieder an afrikanischen Leckereien laben. Das Interesse an der Projektion von Leyla Bouzids Langfilmdebüt „Kaum öffne ich meine Augen“ war sehr groß, obwohl gerade bei diesem Film, im Gegensatz zu den meisten anderen Wettbewerbsbeiträgen, bereits ein deutscher Verleih gefunden ist und der Film im kommenden Monat regulär bundesweit in die Kinos kommt. Für ihr Langfilmdebüt hat die in Tunis geborene Bouzid seit der Uraufführung des Films im vergangenen Jahr schon etliche Preise gewonnen, u.a. auf den Filmfestivals in Venedig, Karthago und Dubai.

Leyla Bouzid beim Publikumsgespräch

„Kaum öffne ich meine Augen“ wurde im Jahr 2014 gedreht, spielt aber im Tunesien des Jahres 2010, als der despotische Herrscher Zine el-Abidine Ben Ali noch im Amt war. Die Handlung ist somit unmittelbar vor der tunesischen Revolution angesiedelt und rückt eine Gruppe Jugendlicher ins Zentrum, die sich in politischen Rocksongs mit den Missständen ihres Landes auseinandersetzen und dabei mit der korrupten Polizei aneinandergeraten. Leyla Bouzid war insbesondere die Musikalität ihres Films wichtig, deswegen betonte sie bereits vor der Filmvorführung, dass „die Musik des Films live gespielt“ wurde und sowohl die im Film zu sehende Band als auch deren Songs extra dafür geschaffen wurden. Nach der Projektion erläuterte die Filmemacherin ihre Intentionen. Sie attestierte, dass die tunesische Revolution, obwohl oder gerade weil sie in vielen Ländern recht unerwartet kam, seinerzeit eine hohe mediale Auswertung erfuhr. Bouzid hatte damals die Hoffnung, dass die erstickende Atmosphäre, die sich mehr und mehr unter den jungen Tunesiern ausgebreitet hatte, endlich zum Thema der zahlreichen post-revolutionären Filmen würde, genau wie der Polizeistaat Ben Alis, der die Gesellschaft gelähmt hatte. Als dies nicht der Fall war, wusste sie, dass sie selbst einen Film zu diesen Aspekten machen musste. Bouzid zeigte sich erstaunt, dass „Kaum öffne ich die Augen“ im Ausland so gut ankam, da er doch eine ganze Reihe sehr spezifisch tunesischer Probleme behandle. Aber auch in ihrem Heimatland wurde der Film zum Hit: mehr als 55.000 Tunesier haben ihn bislang gesehen, was angesichts der geringen Anzahl von landesweit gerade einmal 14 Kinos ein beeindruckendes Ergebnis ist. „Ich hatte die Begeisterung gar nicht erwartet. Junge Leute haben mir bestätigt, dass ich über sie und ihre Probleme spreche, was im tunesischen Kino eher unüblich ist“, so die Regisseurin.

Die Regisseurin mit Moderatorin Aude Gensbittel

Als besonders langwierig erwies sich der Castingprozess der Hauptdarstellerin Baya Medhaffer. Bouzid wollte für die Rolle unbedingt eine Schauspielerin, die die Songs live vor der Kamera selbst singen konnte. Als Medhaffer beim Casting einen Amy-Winehouse-Song intonierte, wusste die Regisseurin, dass sie ihren Star gefunden hatte. Beim Publikumsgespräch erläuterte Bouzid, dass die Geschichte des Films nicht autobiografisch sei: „Er zeigt nicht meine Geschichte, aber jeder Tunesier mit ein bisschen Fantasie wird sich darin wiederfinden können.“ So hat auch die Filmemacherin selbst eigene Erfahrungen mit einem Polizeispitzel im Freundeskreis, was als ein Element in ihr Drehbuch einfloss. Seit der Revolution ist die Redefreiheit in Tunesien nach Ansicht Leyla Bouzids deutlich größer geworden. Ihren Film hätte sie unter Ben Ali in dieser Form sicherlich nicht drehen können, nun hatte sie auch in Tunis eine offizielle Drehgenehmigung. Dass es auch im Nachhinein nicht zur Zensur kam, liegt nach Ansicht der Regisseurin auch am großen Auslandserfolg ihres Films. Nun freut sie sich darüber, dass viele junge Filmschaffende mit ganz unterschiedlichen Ansätzen und Stilen ihre Geschichten in und über Tunesien erzählen können.

Text/Fotos: Frank Brenner

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