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Kreativarbeiter als Leitbild der Stadtplanung
Foto: Mira Moroz

„Das ist eine Konsumhaltung gegenüber der Stadt“

30. Oktober 2012

Wie die Stadtwohnung die Villa im Grünen ablöst – Thema 11/12 Neue Urbanität

choices: Frau Frank, seit 150 Jahren ziehen Menschen in die Stadt, warum spricht man heute von „Reurbanisierung“?
Susanne Frank: Das ist richtig. Aber gleichzeitig haben besonders die Mittelschichten die Städte verlassen und sind in großer Zahl vor die Städte, in die Suburbanität, gezogen. Man hat ein Eigenheim im Grünen und fährt zur Arbeit, ins Kino oder zum Schwimmen in die Stadt. Das verändert sich gerade. Viele Mittelschichtsangehörige und -paare kehren in die Stadt zurück; junge Menschen bleiben in der Stadt, selbst wenn sie Familien gründen. Diese Familien haben nicht mehr die traditionelle, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, sondern arbeiten flexibler. Deshalb müssen sie die Aktivitäten von mehreren Familienmitgliedern koordinieren, wofür die kurzen Wege und die Infrastruktur der Städte besser geeignet sind.

Weshalb bezeichnen Sie die Reurbanisierung als „innere Suburbanisierung“?

Susanne Frank
Foto: privat
Susanne Frank (45) ist Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie an der TU Dortmund.

Ich beschäftige mich mit Mittelschicht-Familien in der Stadt. Um deren Ansprüchen gerecht zu werden, errichten die Städte ganze Familienquartiere, die in vielen Punkten den Suburbs der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts ähneln: selbstgenutztes Eigentum, kleiner Garten, private Eingänge. Wichtig sind soziale Netzwerke in räumlicher Nähe, z.B. Nachbarschaftsbeziehungen, die – wie in der Vorstadt – vor allem auf der Basis von kultureller und sozialer Homogenität gedeihen. Die homogene Sozialstruktur ist auch wichtig hinsichtlich der Bildungschancen der eigenen Kinder, die nur wenig mit bildungsfernen Kindern in Kontakt kommen sollen. Die Siedlungen grenzen sich von ihrem räumlichen Umfeld ab, was ein Sicherheitsbedürfnis bedient. Die eigenen Kinder sollen sich zwar relativ frei bewegen können, aber auch vor „stadttypischen Gefahren“ geschützt sein. Privatheit ist ein weiterer Punkt. Die Bauweise dieser Anlagen macht klar, dass die Nutzung den Bewohnern vorbehalten sein sollte – die Nutzung von Grünflächen, Spielplätzen und Wegen wird so privatisiert.

Aber eine Durchmischung ist doch immer noch das Ideal, neue Siedlungen haben doch häufig einen Anteil an Sozialwohnungen.
Planung und Politik haben dieses Ideal, auch die Bevölkerung ist in der Theorie begeistert davon. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass gemischte Wohngebiete von den Mittelschichten nicht gerne gewählt werden; und da, wo gemischt gewohnt wird, wird kaum zusammen gelebt.

Bleibt diese Haltung denn auf das Wohnen beschränkt?
Das Interessante ist ja, dass die Leute von sich sagen, dass sie eine urbane Identität haben. Sie schwärmen vom Stadtleben und würden niemals zurück in die Vorstadt wollen. Sie nutzen die Stadt, halten sie aber gleichzeitig auf Distanz. Das ist eine „Konsumhaltung“ gegenüber der Stadt: Man sucht sich die guten Häppchen, und den „wilden“ Rest lässt man außen vor.

Bedient das Wohnen in der Stadt vielleicht auch immaterielle Bedürfnisse?
Diese neuen Familienquartiere sollen die soziale Stellung der Bewohner ausdrücken. Die großzügige Stadtwohnung hat die Villa im Grünen als Statussymbol abgelöst. Genauso zeigen Forschungen, dass der Wohnort innerhalb der Stadt als Ausdruck der eigenen Identität gesehen wird. Wer z.B. nach Berlin-Kreuzberg zieht, weist sich aus als jemand, der ein kulturell gemischtes Quartier präferiert, dort keine Berührungsängste hat.

Viele typisch städtische Charaktertypen – vom Bourgeois über den fordistischen Arbeiter bis zum urbanen Pionier – sind männlich konnotiert. Hat sich das mit der verstärkten Präsenz von berufstätigen Müttern in der Stadt geändert?
Ich könnte da noch kein einheitliches Bild zeichnen. Im Moment sind die Kreativarbeiter das Leitbild der Stadtplanung, die nicht unbedingt männlich konnotiert sind. Ich vermute aber, dass in dem Moment, wo Kinder ins Spiel kommen, die Geschlechterbeziehungen wieder traditioneller werden. Die modernisierte Familie mit Doppelverdienern scheint eher ein Teilzeitmodell zu sein. Aber zunehmend nehmen sich auch Männer Zeit für die Familie, so dass die Eindeutigkeit für mich ein wenig verschwindet.

Menschen, die Off-Kultur machen, die neue Räume erschließen, stammen ja auch meistens aus der Mittelschicht und werden später in der Regel von den solventeren Teilen der Mittelschicht verdrängt. Kann man diesen Prozess eigentlich stoppen?
Solange Stadtentwicklung immer weiter dem Markt überlassen wird, hat man da natürlich wenig Handhabe. Die Frage ist ja, ob das gewünscht wird. Die Städte haben gewisse Möglichkeiten, solche Prozesse zu steuern. Man kann Sanierungsgebiete ausweisen, die Mietsteigerung über einen bestimmten Zeitraum begrenzen. Aber das sind alles Maßnahmen, die immer nur auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt sind. Das hält den Prozess nicht wirklich auf.

Wie wirkt sich denn die „innere Suburbanität“ auf die Architektur in der Stadt aus? Die großen Entwürfe städtischer Architektur haben ja immer vermittelt, dass man in der Stadt nicht so leben kann wie auf dem Land.
Gute Frage. Das hatte auch etwas sehr Zeitgebundenes. Die Siedlungen der 1950er waren ja auch eine Reaktion auf die enorme Enge in den Industriestädten, wo das Motto war: „Mehr Licht, mehr Luft, mehr Sonne“. Deshalb hat man weniger verdichtet gebaut, was auch einen demokratischen Gedanken hatte. Alle sollten gleich beschienen werden. Die Frage nach der Architektur des Städtischen taucht ja überhaupt erst wieder auf, weil die Städte nicht mehr so völlig überfüllt, die Industrien nicht mehr so laut und die Luft und das Wasser besser geworden sind. Das verdichtete Wohnen hat jetzt erst neue Chancen. Es gibt auch ein Interesse der Mittelschichten an neuen, spektakulären, hochwertigen Wohnformen. Aber das ist nicht unbedingt etwas für Familien.

Weitere Artikel zum Thema in unseren Partnermagazinen:
www.trailer-ruhr.de/vom-kulturbiotop-zum-szeneviertel
www.engels-kultur.de/kulturstadt-im-tal

Interview: Christian Werthschulte

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