Zum Schluss ein pflichtschuldiger Applaus, schließlich ist es eine Premiere. Hier und dort ein Bravo. Vor wenigen Augenblicken trat der Minister Don Fernando auf die Bühne, ein Deus ex machina mit Scherpe. Die Mauern in Anthrazit, die eben noch den Schauplatz des Kerkers einengten, brechen auf. Aus dem Hintergrund der Kulisse dringt gleißendes Licht. Ungebrochenes C-Dur?
Lange hatte Beethoven mit seiner Schöpfung, seiner einzigen Oper „Fidelio“, gerungen. Nach nichts Geringerem strebte er, als die von den Zeitgenossen Goethe und Schiller ersehnte Utopie der Freiheit würdig zu vertonen. Nach vielfachen Überarbeitungen der Urfassung der „Leonore“ von 1805, feierte das Epos der tapferen Gattin des Florestans letztlich – es waren beinah zehn Jahre vergangen – in Wien Premiere. Der Erzählstoff, dem sich die Oper Köln in einer neuen Inszenierung Michael Hampes angenommen hat, sei kurz wiedergegeben: In den Kerkern des Gouverneurs Don Pizarro wird der unbeugsam liberale Schriftsteller Florestan widerwillig festgehalten. Dessen Gattin Leonore bewirbt sich, als Mann verkleidet und unter dem Namen Fidelio, beim Kerkermeister Rocco, um ihren Geliebten aus den verborgenen Gewölben des Despoten zu befreien. Als dieser kurzerhand entschließt, den Widersacher Florestan endgültig zu vergelten, ist das dramatische Moment nicht weit: Fidelio gibt sich als Geliebte des Florestans zu erkennen. Allein die verfrühte Ankunft des Ministers Don Fernando, der in Florestan einen alten Weggefährten erkennt, verhindert die Tragödie.
Eine gewisse dramaturgische Blässe ließ sich dem Libretto, das im Siegestaumel des Sturms auf die Bastille erstmalig von Jean-Nicolas Bouilly abgefasst, später von Joseph Sonnleithner und Friedrich Treischke adaptiert wurde, schon damals nicht absprechen; besonders sein seichtes Ende sei der zeitlichen Entstehung geschuldet. Jedoch: Das Motiv des politisch gefangenen Freidenkers, die Rolle der als Mann verkleideten Leonore, die sich, hingerissen von der Liebe, zur treuen Heldin emanzipiert, all das trägt sich durchaus bis in die heutige Zeit.
Schildwachen, im Spalier aufgereiht, verengen den Raum in metrischer Tiefe; sie tragen schwere Uniformen und Geschütz. Ein untersetzter Mann mit Schirmmütze betritt mit strengem Gang die Bühne. Sein bedrohlich tiefer Bass konterkariert spannungsvoll die grell aufschießenden Streicher. „Ha! Welch ein Augenblick!“, erbebt die Stimme des Don Pizarro.
Nun ließ Hampe aber seinen Bühnenbildner Darko Petrovic eine düstere Kulisse mitsamt Kostümen anfertigen, die eine Verortung des Geschehens im europäischen Faschismus der dreißiger Jahre nahelegt. Die ohnehin heikle, zuversichtliche Auflösung des Stücks in der Apotheose des Ministers der Urfassung, erfährt in diesem Rahmen einen unglücklichen Anklang von Zynismus: Wo war damals die Obrigkeit, die die Tragödie mit einem bloßen Fingerzeig hätte verhindern können? Selbst wenn die erzeugte Disparität beabsichtigt war, so schien sie doch unzureichend erzählt. Dass ihm eine solche, nuancierte Darstellung durchaus gelingen kann, zeigt Hampe mit der Inszenierung des Kerkermeisters Rocco, den Stefan Cerny gekonnt intoniert. Zerrissen zwischen Unterwürfigkeit und Aufbegehren gegenüber Pizarro, entwickelt er sich zum reizvollsten Charakter des Abends.
Jenseits der fragwürdigen Einfassung des Geschehens, weiß „Fidelio“ musikalisch weitgehend zu überzeugen: Unter Leitung des Dirigenten Alexander Rumpf spielt das Gürzenich-Orchester mit Mut zum Pathos, wenngleich teils unsanft ausufernd, doch solide auf. Anfangs scheinbar durch ihre noch klammen Uniformen gehemmt, blühen im zweiten Akt bald auch die Protagonisten, vornehmlich Emma Bell in der Partie der Leonore auf. David Pomeroy hingegen, in der Rolle des gepeinigten Florestan im Kerker, hätte man ein wenig mehr Tiefsinn gewünscht, wenn dieser klagt: „Wahrheit wagt’ ich kühn zu sagen, und die Ketten sind mein Lohn“ – aus gegebenen Anlass.
„Fidelio“ | R: Michael Hampe | Do 15.6. 18 Uhr, Fr 23.6., Do 29.6., Sa 1.7., Mi 5.7. je 19.30 Uhr, So 25.6. 15 Uhr | Oper Köln, Staatenhaus | 0221 22 12 84 00
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