Das beschleunigte Artensterben ist so fatal wie die Erderwärmung: Für die aus Großbritannien stammende Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion (XR) schien das immer klar: beides galt es zu bekämpfen. „Soweit ich weiß, hat alles mit dem Artensterben begonnen“, erinnert sich Wolfram Jörges von XR Wuppertal. „Die Vorstellung, dass deine Lebensgrundlage zerstört wird, ist auch unmöglich zu ertragen.“ Im August 2019 kam es zur Gründung der hiesigen Gruppe im Elberfelder Café Ada, bis heute trifft man sich wöchentlich im Swane-Café im Luisenviertel.
Wie die Gesamtbewegung hatte auch Wuppertals Abteilung von Anfang an das Konzept im Blick, auf Aufmerksamkeit zu setzen. Im Ada wurde den damals noch locker Versammelten der Ansatz vermittelt: Klimaschutz braucht Lenkung, doch die Politik handelt nur auf Druck. Fazit: Die Menschen müssen diesen Druck erzeugen.
Trauerzug für bedrohte Arten
Leidenschaft und Emotion sind integrale Antriebe des Klimakampfes, wie XR ihn versteht; die hiesige Gruppe macht da keine Ausnahme. Ein kühl-strategisches Verhältnis hat die Bewegung indes zur Wahl ihrer Mittel. Gewalt lehnt man ab, ja, aber nicht zuletzt deshalb, weil sie dem Ruf der Bewegung und dem Anliegen schadet. Wer die hiesige Sektion verfolgt, weiß: Daraus spricht Entschlossenheit.
Starke Bilder gelangen XR Wuppertal zum Artensterben auch friedlich. Im Frühjahr 2021 zog zweimal eine Art Trauerzug über die Nordbahntrasse: Schwarz gekleidete Aktivisten trugen einen Sarg und beklagten auf Schildern die Gefahr für bedrohte Arten – und den Tod schon ausgestorbener, wie des Chinesischen Flussdelfins oder Spix-Aras. Auf der stark frequentierten Trasse in Höhe der Utopiastadt bis zum Loher Bahnhof war dem Marsch einige Wahrnehmung sicher, die man auch zum Unterschriften-Sammeln für die „Volksinitiative Artenschutz NRW“ nutzte.
Im Juli 2020 gab es in Rheda-Wiedenbrück Demos mehrerer Organisationen vor dem Gelände des Fleischbetriebs Tönnies. Vierzehn Aktivisten, auch von XR Wuppertal, blockierten dabei die Zufahrtsstraße – und landeten dafür 2022 vor Gericht. Zwar wurden die Verfahren inzwischen teils eingestellt, doch Aktivisten äußern den Eindruck: Einmal als rebellisch aufgefallen, habe die Staatsmacht sie im Blick.
Militanz und Staatsgewalt
Nicht nur hier: Schlägt etwa, sozusagen, das Imperium zurück? Wolfram Jörges ist generell überzeugt, dass Entscheidungsträger ihre Gegenmaßnahmen „schon vorher überlegt“ haben. „Beamte sind verunsichert. Sie versuchen krampfhaft, Regeln zu folgen, finden sich aber in ihrem eigenen Formulierungs- und Deutungsdickicht nicht zurecht. Da heißt der Tatvorwurf dann auch schon mal ‚Verbotene Organisation einer Versammlung‘."
Währenddessen tickt die Uhr weiter, verschärft sich die ökologische Krise. Verschieben sich denn die Grenzen des Legitimen, je dringlicher politische Aktion wird? „Interessante Frage“, antwortet Jörges: „Wenn die Menschheit vor die Wand fährt, was ist dann Legitimität; gelten die Regeln, die diese Situation erst geschaffen haben? Das kann es ja wohl nicht sein.“ Und weiter: „Wir wollen niemandem schaden – wir wollen Aufmerksamkeit.“
UNARTIG - Aktiv im Thema
biodiversity-plants.de/downloads/JD155.pdf | Die etwas ältere Mitteilung der Uni Hamburg diskutiert, welcher Lebensraum mehr Arten birgt: tropischer Regenwald oder europäischer Trockenrasen?
rote-liste-zentrum.de | Das Rote-Liste-Zentrum koordiniert die Erstellung der Roten Listen für Deutschland, die über gefährdete Arten informieren.
mpg.de/17678393/artenschutz-wikelski-jetz | Das Gespräch zwischen Mitarbeitern der Yale University und des Max-Plank-Instituts diskutiert das Verhältnis von Artensterben und Klimawandel.
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