„Alter Orient“ ist erst einmal ein inhaltsleerer Begriff wie Altes Europa. Beide haben zwar Punkte auf dem Jahreszahlenstrang, aber natürlich selten eine konkrete räumliche Verortung. Eine grandiose Ausstellung in der Bundeskunsthalle füllt nun den Begriff Alter Orient kunstvoll mit orientalischen Artefakten und dieser stillen Präsenz, die derartige kulturgeschichtlichen Schauen oft begleitet. In Bonn geht es um den Iran und seine „frühen Kulturen zwischen Wasser und Wüste“. Gezeigt wird die Geschichte aus achttausend Jahren Entwicklung in dieser ganz konkreten räumlichen Ausdehnung, ist das Land doch von Gebirgen umschlossen, was die eigenständige Entwicklung förderte, aber auch vor ständigen Eroberungen schützte. Alle Exponate kommen aus dem Iran, vieles war in Europa noch nie zu sehen, weil es auch nur ganz wenig in den Museen hier zu zeigen gibt. Und es sind 400 Exponate aus der Frühzeit der Region. Bis zum Aufstieg der Achämeniden im ersten Jahrtausend vor Christus reichen die Informationen über die frühen Völker, die ihre Wüsten durch unterirdische Wasserleitungen zum Blühen brachten, aber auch in Landstrichen voller üppiger Vegetation lebten. Auf dem Vorplatz der Bundeskunsthalle ist selbst ein Persischer Garten aufgebaut worden: „Der Persische Garten. Die Erfindung des Paradieses“ ist ein separater Teil und lädt zum meditativen Verweilen ein – wenn man alleine ist.
Doch zurück in die Hallen. Vier Farben an den Wänden strukturieren die Ausstellung. Zu Beginn das erdkundliche Tableau, das die orientalische Region und seine Geologie zeigt. Dann Zeugen der frühen Besiedlungen im Neolithikum – schon hier werden Gefäße und Schmuck ausgestellt. Alle Exponate, die ausnahmslos aus dem Iranischen Nationalmuseum Teheran stammen, sind hinter Glasvitrinen, ab und an geben Videoclips Infos zur jeweiligen Datierung und Ausgrabungsstelle, die manchmal nicht genau lokalisiert werden kann. Auch in Persien hat es schließlich immer Raubgrabungen gegeben. Nebenan lädt die monotone Nay (persische Flöte) zum Tanz, ein Zeichentrickfilm-Loop erzählt eine Geschichte aus orientalischen Zeichen. Verdammt früh hat in der Region die Entwicklung von Schrift begonnen, jede größere Zivilisation braucht schließlich ihre Bürokratie, ohne die sie nicht existieren kann. Stempel und Rollsiegel aus der Zeit 5000 vor Christus, dazu Figurinen aus Marmor, Alabaster, Kupfer, Gold, hier denkt kaum einer darüber nach, was zu der Zeit in Germanien los war, wo man gerade mit der Landwirtschaft anfing und Metall noch keine Rolle spielte, und zweitausend Jahre später hatten die Perser bereits Brettspiele.
Wenn die Aufmerksamkeit langsam nachlässt, versperren schwarze Fäden den Weg, säumen einen Raum voller Schmuck. Im „Prinzessinnengrab von Dschubadschi“ wurden vor rund 2500 Jahren zwei Frauen aus einer neu-elamischen Königsfamilie bestattet, mit fetten goldenen Armreifen und filigranem Geschmeide. Gefunden wurden sie unberaubt erst 2007, zu sehen war das alles bisher nicht. Mich zöge es jetzt unaufhaltsam in den Persischen Garten, wenn da nicht noch die Geschichte über das Dareios-Felsen-Relief in Bisotun wäre.
„Iran. Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste“ | bis 20.8. | Bundeskunsthalle, Bonn | 0228 917 12 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Gesellschaftlicher Seismograph
8. Internationales Bonner Tanzsolofestival – Tanz in NRW 03/23
Zerissenes Land
Grenzgang: Reise-Reportage über den Iran am 13.11. an der Volksbühne
Die Mutter aller Musen
Aby Warburg in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 06/21
Die Schönheit bleibt nackt
Max Klinger in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 11/20
„Gerade jetzt sind Kunst und Kultur von hoher Bedeutung“
Patrick Schmeing, Geschäftsführer der Bundeskunsthalle, über digitale Bilderwelten – Interview 05/20
Freude schöner Götterfunken
Beethoven in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 02/20
Fulminanter Start ins Jubiläumsjahr
Bonn feiert Beethoven – Bühne 12/19
Im Schleudersitz auf der Holzeisenbahn
Martin Kippenberger Retro in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 12/19
Die Leinwandhelden von Weimar
„Kino der Moderne“ in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 02/19
Living in a Box
„Making Home – Zuhause in der Fremde gestalten“ im Atelierzentrum Ehrenfeld – Kunst 01/19
„Der politische Kampf spiegelt sich auch im Kino“
Kristina Jaspers über „Kino der Moderne“ in der Bundeskunsthalle – Interview 01/19
Flimmernde Bilder, die Menschen veränderten
„Kino der Moderne“ in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 01/19
Mehr als Bilder an der Wand
„Museum der Museen“ im Wallraf-Richartz-Museum – kunst & gut 12/24
Vorgarten der Unendlichkeit
Drei Ausstellungen zwischen Mensch und All – Galerie 12/24
Vorwärts Richtung Endzeit
Marcel Odenbach in der Galerie Gisela Capitain – Kunst 11/24
Mit dem Surrealismus verbündet
Alberto Giacometti im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 11/24
Außerordentlich weicher Herbst
Drei Ausstellungen in Kölner Galerien schauen zurück – Galerie 11/24
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Geschichten in den Trümmern
Jenny Michel in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 10/24
Ein Himmel voller Bäume
Kathleen Jacobs in der Galerie Karsten Greve – Kunst 09/24
Leben/Macht/Angst
„Not Afraid of Art“ in der ADKDW – Kunst 09/24
Lebenswünsche
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln – Kunst 09/24
Die Freiheit ist feminin
„Antifeminismus“ im NS-Dokumentationszentrum – Kunstwandel 09/24
Atem unserer Lungen
„Body Manoeuvres“ im Skulpturenpark – kunst & gut 09/24
Die Absurdität der Ewigkeit
Jann Höfer und Martin Lamberty in der Galerie Freiraum – Kunstwandel 08/24