Weit über 300 Arbeiten von Kippenberger überfordern den Besucher, erschöpfen den Liebhaber, der in Berlin lange Zeit mit dem Vorwurf leben musste, von Kunst keine Ahnung zu haben. Und nun mal wieder eine Retrospektive und heute haben es natürlich alle gewusst, was für ein Unikat da zu früh den Planeten verlassen musste. Bonn. Bundeskunsthalle. So viel brillanter Sarkasmus war lange nicht mehr an diesem Ort platziert. Mit erschöpften Augen auf einer weißen Bank, über mir die drei gekreuzigten Frösche in blau, violett und silber mit ihren grünen Täschchen hängen sie da blasphemisch über dem Eingang. Rechts von mir ein Torso Mensch im Krankenstuhl (Krankes Ei Kind, Öl und Lack auf Leinwand, 1996), gegenüber das „Dinosaurierei“ (Öl und Lack auf Leinwand, 1996), beides sind späte Arbeiten. Aber ist das schon „Die Verbreitung der Mittelmäßigkeit“ (1994)? Die Leihgeber sind erstaunlich breit gefächert. Vieles hat Bonn wohl auch gar nicht erreicht. Die Marke Kippenberger ist heute schließlich ein Mega-Versicherungswert.
Sein „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ (1984) ist heute wieder so brandaktuell wie nie und nur im Katalog zu entdecken, dafür ein ganzer Raum für die „Krieg Böse“ Serie von 1983. Wahrscheinlich wäre auch heute für ihn wieder eine Zeit für ein neues Objekt „Martin, ab in die Ecke und schäm dich“ (1989/90), das in der Ausstellung in der „Heavy Burschi“-Installation zu sehen ist, die der Künstler mit einem Mobility Scooter selbst wieder verlässt. Denn Kippi, so sehr er auch den Auftritt und den Mittelpunkt liebte, gäbe sich nicht zufrieden mit dieser künstlichen Facebook- und Instagram-Scheinwelt, die auf Plattformen verwirrte Persönlichkeiten nicht aus Lehm sondern aus Pixeln erschafft. Den Kopf des Besucher durchzieht ein wahrer Bildersturm, da hängen mal locker 20 Bilder auf einer Wand, eine Langvitrine zeigt Devotionalien, Kataloge, Bücher, Unikate. Diese Retrospektive kann man mit einem Besuch nicht wirklich fassen. Und da noch ein letzter Blick – ein gerahmter Kippenberger hinter Glas. Es ist „Jaqueline“ (1996), und es sind Bilder, die Pablo Picasso nicht mehr von seiner Frau malen konnte, und die gehören natürlich der Picasso-Foundation. Ein Tausendsassa und einer der wenigen echten Künstler. Bitteschön. Dankeschön.
Martin Kippenberger. Bitteschön Dankeschön | bis 16.2. | Bundeskunsthalle Bonn | 0228 917 12 00
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